Scheidemann, Heinrich (1596-1663)

Organ Works

Verlag/Label: Dabringhaus und Grimm, MDG 906 1746-6 (2012)
erschienen in: organ 2013/01 , Seite 52

5 von 5 Pfeifen

Dass sich Heinrich Scheidemanns Orgelwerke bei den CD-Labels gesteigerter Beliebtheit erfreuen und aktuell gleich mehrere hochwertige Neueinspielungen erscheinen, kann nur mit Genugtuung aufgenommen werden. Zu Joseph Kelemens bereits in organ 1/2012 besprochener Einspielung gesellt sich nun diese wirklich herausragende Aufnahme mit Leo van Doeselaar, die man durchaus als diskografische Ergänzung für das CD-Regal empfehlen kann, da sich nur mit dem chromatischen Präludium d-Moll (WV 34) eine Schnittmenge ergibt. Diese ist allerdings umso interessanter, da van Doeselaar hier eine mildere Principal-Registrierung wählt, die auch manche Härten der mitteltönigen Stimmung etwas abschwächt.
Van Doeselaars Programmwahl zeichnet sich dadurch aus, dass neben Choralbearbeitungen (Kyrie sum­­mum; O Gott, wir danken deiner Güt; Erbarm dich mein; Jesu, du wollst uns weisen; Vater unser; Ein feste Burg) und einer Motettenint­a­volierung von Hasslers Verbo caro factum est mit der Paduana Lachrymae und einer Galliarda auch Werke vertreten sind, die nicht einem genuin kirchlichen Umfeld angehören. Und das scheint auch interpretatorisch Programm zu sein: Van Doeselaar setzt auf subtilen rhythmischen Drive und maßvoll tänzerischen Gestus, was der Musik sehr gut ansteht und ihr ganz erheblichen noblen Charme verleiht. Gleichzeitig sorgt eine vorbild­liche Phrasierung für große Sinnzusammenhänge, die bei Aufnahmen neu­eren Datums manchmal zuguns­ten einer doch leicht manierierten Artikulation ver­loren gehen. Nichts von alledem ist hier zu spüren. Neben unbestrittener stilistischer Kompetenz vermittelt der Interpret vor allem Spielfreude und süffigen Genuss an der kunstvollen Musik und nicht zuletzt an dem einzigartigen Instrument.
Ist schon die Leistung des Spielers hoch einzuschätzen, kann man das wundervolle Instrument nicht genug loben. Mit der großen Orgel der Pieterskerk im niederländischen Leiden, deren älteste erhaltene Pfeifenbestände aus den Jahren 1446 und 1518 datieren, hat man vielleicht für Scheidemann eine recht archaische Wahl getroffen – aber welch ein Klang! Der satte, erdige Ton der Principale gemahnt an das mystisch-dunkle Braun in Rembrandts Gemälden; das glanzvolle Plenum, mit deutlichen Blockwerksresten auf Prestant 24’ basierend, setzt Maßstäbe in Sachen Gravität. Die strahlenden Zungen färben vielleicht etwas deutlicher, als man es von norddeutschen Lingualen gewohnt ist. Hier macht sich eine geografische Nähe zur frankophonen Orgelwelt bemerkbar. Gleichwohl ist die Kombination von Musik und Instrument schlüssig, muss man doch voraussetzen, dass Scheidemann vergleichbare Klänge während seines Studiums bei Jan Pieterszoon Sweelinck kennen lernte.
Aufnahmetechnik und Ausstattung der Drucksachen sind vorbildlich geraten. Lediglich die wohl in­zwischen zum Markenzeichen des Labels werdende allzu betuliche „pä­­dagogische“ Registerdemonstration mit entsprechenden Ansagen stört den ansonsten so harmonischen Höreindruck und dürfte den bon goût so manches versierten Orgelmusikhörers eher weniger treffen …!

Axel Wilberg