Parker, Horatio

Organ Works

Organ Pieces op. 66 & 68 / Sonata op. 65

Verlag/Label: Dabringhaus und Grimm, MDG 317 1741-2 (2012)
erschienen in: organ 2012/04 , Seite 58

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Der 1863 im US-Staat Massachusetts geborene Komponist Horatio Parker war ein musikalischer Spätstarter. Bis zum Alter von 14 Jahren zeigte der Sohn einer Organis­tin und eines Architekten kaum Interesse für die Musik. Dann plötzlich ergriff er mit größtem Eifer die Chance, bei seiner Mutter Klavier-und Orgelunterricht zu erhalten, er nahm ab 1877 in Boston ein Musikstudium auf und reiste 1882 nach München, um bei Josef Gabriel Rheinberger Komposition zu studieren.
1885 kehrte er in die USA zurück und wirkte fortan als Organist an Kirchen in New York und Bos­ton, lehrte unter anderem an der Yale University und betätigte sich erfolgreich als freischaffender Komponist von Chorwerken, Orchester- und Kammermusik, Opern und – trotz der Schule, durch die er bei Rheinberger gegangen war, und trotz der Funktionen, die er als Organist bekleidete – nur einigen wenigen und eher kleinformatigen Orgelwerken. Einigen Sammlungen von Charakterstücken, die ebenso wie Parkers Four Compositions for Organ und die Five Sketches for Organ noch in den 1890er Jahren entstanden waren und noch Rheinbergers Einfluss erkennen lassen, fügte Parker in den späteren Lebensjahren noch die Orgelsonate op. 65 und zwei Bündel von Organ Pieces op. 66 und op. 68 hinzu.
Letztere Werke hat Rudolf Innig, der für MDG schon so manche Gesamteinspielung beigesteuert hat – man denke nur an die im Jahr 2005 abgeschlossene herausragende Edition der Orgelwerke J. G. Rheinbergers –, für sein Haus-Label aufgenommen. Innig hat hierfür die Kuhn-Orgel im Dom zu Osnabrück gewählt, ein neueres, ganz und gar nicht an angelsächsischer Orgel­ästhetik ausgerichtetes Instrument also, das, 2003 erbaut, weitgehend jedoch Klänge bereithält, die Parker in seinen späten Orgelwerken fordert.
Innig weiß in seiner Registerwahl und seiner differenzierten, nicht etwa kontraststark auffächernden, sondern viel eher sensibel und gleichfarbig ausinstrumentierenden Herangehensweise die charakterlich vielfältige Klangsprache des Komponisten etwa in den Four Organ Pieces op. 66 mit Verve zum Ausdruck zu bringen. Einem kraftvollen und energetischen Schub eingangs im Festival Prelude stellt er in Revery einen zarten Tonfall und organisch atmende kleinteilige Phrasen gegenüber, die er überzeugend in größere klangliche Bögen zu fassen vermag. Nach einem etüdenhaft glitzernden Scherzino schließt Innig die suitenhaft zusammengestellte Folge mit einem breit angelegten Postlude, das in seine Mitte ein lebendig und plastisch mit dem Thema und seinen Motiven spielendes Fugato nimmt.
Zentrales Werk der Aufnahme ist Parkers Sonate op. 65: Innig versteht es, deren Kopfsatz in Ausdruck und klanglicher Umsetzung einen diffizilen, mal neoklassisch geschärften, mal eher „amerikanisch-weich“ changierenden Duktus zu verleihen; er weiß deren Andante eine gleichsam dialogische Diktion zu geben und begibt sich mit höchs­ter Lebendigkeit in die wechselnde Charakterhaltung der Finalfuge.

Thomas Bopp