C. P. E. Bach

Organ Sonatas, Wq. 65/32 und 70/2–6

Verlag/Label: Naxos 8.573424 (2016)
erschienen in: organ 2017/04 , Seite 56

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Eine gerade mal zweimanualige Orgel von Paul Fritts, doch derart reich besetzt (39/II+P), dass genug Farben und Möglichkeiten für einen kammermusikalischen Klang bereit stehen; dazu ein Organist, der die sechs Sonaten Wq 70 von Johann Sebastian Bachs bekanntes­tem Spross Carl Philipp Emanuel wunderschön spritzig und mit Lust, Liebe und Laune spielt – eine erfrischende Zusammenfügung, auch wenn man vielleicht nicht allen sechs Sonaten hintereinander lauschen sollte (das wäre eine Überfütterung).
Iain Quinn heißt der Organist, geboren (wann, wird nicht verraten) in Cardiff (Wales), auch Musikwissenschaftler und Komponist, außerdem Buchautor. Derzeit lehrt er an der Florida State University. Er studierte u. a. bei Robert Court und Nicolas Kynaston Orgel, daneben lernte Quinn auch Klavier und Trompete. Weitere Studien lockten ihn an die Juilliard School, wo er mit „summa cum laude“ abschloss. Einige Jahre verbrachte er wieder in seinem Heimatland, dann wieder auf der anderen Seite des Atlantik (Harvard University Massachusetts). Diese Informationen de­cken nur einen kleinen Teil der Orte ab, an denen er studierte bzw. lehrte bzw. spielte. Dass er als Organist rechts und links um den Globus reiste, versteht sich nahezu von selbst.
Carl Philipp Emanuel Bach (1734–88) schrieb überwiegend für Tasteninstrumente, wobei man kaum, eher gar nicht, merkt, dass er einen Erzeuger hatte, der der Kontrapunktiker schlechthin war. C. P. E. war längst dem „Empfindsamen Stil“ zugetan und – zu seinen Lebzeiten – berühmter als sein Allvater. Manche Werke des berühmten Sohnes entstanden im preußischen Umfeld. Anna Amalia, die jüngste Schwester Friedrichs des Großen, war alles andere als eine „amusa“. Sie besaß zwei Orgeln und spielte auch selbst. Im Berliner Stadtschloss hatte sie eine Orgel von Peter Migendt (22/II+P). Vermutlich entstand zumindest die Sonate in B Wq 70/2 für diese Orgel, die nach verschiedenen Kriegswirren restauriert wurde und heute noch steht.
Quinn spielt alle sechs Sonaten Wq 70 in der Reihenfolge 1 (A), 6 (g), 5 (D), 3 (F), 4 (a) und 2 (B) mit einem unglaublich flüssigen Tempo, schneller als Aufnahmen von Herbert Tachezi, Ton Koopman (der an der Anna-Amalia-Orgel eingespielt hat) oder anderen Organisten, doch nie überhetzt. Seine reichlich besetzten Fritts-Manuale gestatten ihm dabei eine abwechslungsreiche Registrierung.
In der A-Dur-Sonate (1) erstaunen die Echo-Effekte und die vielen tiefschwarzen Noten (1. Satz), die mit begeisterndem Schwung angegangen werden. Das „Andante con tenerezza“ bringt feine Trillerchen
– teils mit perkussivem Effekt, weil sich die Traktur hörbar, aber nicht störend einmischt. In der g-Moll-Sonate gefällt der 2. Satz mit seinem „empfindsam“ ausgeführten Adagio, während der Finalsatz leicht­füßig artikuliert eilt.
In der D-Dur-Sonate fällt der virtuose Umgang mit den Akkorden auf, aber auch die nahezu hingeschleuderten auftaktigen Sechzehntel-Triolen. Das „Adagio e mesto“ verdankt dem regulierbaren Tremulanten eine distinguierte Unaufdringlichkeit. Putzmuntere Synkopen erfreuen im Finalsatz.
Das F-Dur-Stück fällt – bei sehr kritischem Hören – etwas aus der Rolle. Im Kopfsatz beißen die hohen Sekunden der zu hellen Regis­trierung ein wenig ins Trommelfell. Zweiter und dritter Satz lassen ein größeres Quäntchen Agogik vermissen; auch die Generalpausen sind nicht sorgfältig durchgezählt. Da ist Quinn wohl das Temperament durchgegangen.
In der a-Moll-Sonate findet das Adagio dann wieder eine stilvoll-empfindsame Ausgestaltung (doch auch hier sind die Generalpausen überspielt). Schließlich fällt das B-Dur-Stück mit seiner grundtönigen Registrierung (1. Satz) auf, spurtet dennoch hurtig von dannen. Das Arioso steigt schön flötig und sanft gestaltet auf; die chromatischen Partien sind liebevoll artikuliert. Das Allegro – wie gehabt – eilt schön flüssig, wiederum mit aufgeweckten Trillerchen.
Dem erstklassigen Spiel und der gewissenhaften Aufnahme (vom Juli 2014) steht allerdings ein dürftiges Heftchen gegenüber, eigentlich nur geklappte sechs Seiten, lediglich auf Englisch: Erläuterungen zum Komponisten und zu den Sonaten (Caroline Waight), Biografie und Bild des Interpreten und der Paul Fritts-Orgel (Miller Chapel) im Princeton Theological Seminary (New Jersey, USA).

Klaus Uwe Ludwig