Theophil Andreas Volckmar & Daniel Magnus Gronau

Organ Sonatas & Variations

Andrzej Mikolaj Szadejko an der Orgel der Trinitatiskirche Danzig

Verlag/Label: Dabringhaus und Grimm, MDG 906 2139-6 (2019)
erschienen in: organ – Journal für die Orgel 2020/01 , Seite 60

Bewertung: 4 von 5 Pfeifen

Neues Repertoire aus der Bach-Zeit präsentiert der Danziger Professor Andrzej Szadejko mit dieser Einspielung allemal, noch dazu an der prächtigen Orgel der dortigen Trinitatiskirche (Franziskanerkirche). Dieses seitlich auf dem Lettner positionierte dreimanualige Werk reicht zurück bis 1618 und verdankt seine Wiedererstehung nach 400 Jahren maßgeblich dem Orgelbauer Kris­tian Wegscheider (Dresden) sowie seinen polnischen und deutschen Helfern. Solche Großorgeln in niederdeutsch-protestantischer Tradition schmückten die zahlreichen Kirchen der Hansestadt im 17. und 18. Jahrhundert und wurden sowohl solistisch als auch zur farbenreichen und kräftigen Unterstützung von Figuralmusik eingesetzt.
Die sechs Sonaten von Theophil Andreas Volckmar (1686–1768) sind eine mitunter bizarre Mischung von stylus phantasticus und galanten Elementen des italienischen Solokonzerts à la Vivaldi. Szadejko geht die vor allem im Pedalpart virtuosen Stücke mit unglaublichem Schwung an und kaschiert damit allzu ausgiebig sequenzierende Leerlaufstellen. Die vielen Pleno-Passagen steigert er mit wechselnden Registrierungen ins Monumentale; elegische Innensätze bleiben zart und fragil wie ihre italienischen Vorbilder. Volckmars mitunter überladener Stil, sein Ehrgeiz und sein Umgang fanden unter Zeitgenossen keineswegs ungeteilten Beifall, wie die Zitate im Beiheft verraten.
Dagegen wird Daniel Magnus Gronau (1700–47) als „die schönste musikalische Seele, die jemals in der Stadt an der Motlau gewesen ist“, gepriesen. Leider ist von seinem stattlichen Orgel-Œuvre nur einer der zwei Bände mit Choralbearbeitungen erhalten, nach Szadejko das größte homogene Manuskript mit Orgelliteratur der Zeit. Eingespielt sind hier die Zyklen zum Beichtlied „Es wird sicher der letzte Tag herkommen“ und „Komm Gott Schöpffer Heyliger Geist“, Letzteres mit Alterationen, die den cantus firmus deutlich von der gewohnten Version entfernen. Gronau integrierte in seine kunstvollen Komposi­tionen Momente der Affektenlehre so­wie Tanzmodelle und schuf somit einen eigenen Typus von Choralpartiten.
Beide Komponisten hinterließen Registrieranweisungen, die Szadejko beispielhaft umsetzt (im Booklet enthalten); Volckmar schlägt sogar Klangwechsel im Pedal während des Spiels vor, was an der Trinitatis-Orgel mit zwei Pedalwerken und Sperrventilen auch realisierbar ist. Offenbar hatte der Interpret „einen hurtigen Scholaren bey der Hand“. – Mitunter wirkt Szadejkos Überschwang etwas quirlig. Den Texten bzw. Übersetzungen fehlt die bei Dabringhaus und Grimm sonst übliche sorgfältige Redaktion – was bitte ist „Hermetizität“? Dennoch wird hier ein aussagekräftiges Stück Orgelkultur des Ostseeraums erschlossen, das Lust auf mehr macht.
Markus Zimmermann