Leighton, Kenneth

Organ Music

Missa de Gloria / Et Resurrexit / Hymn Fantasies (Morris)

Verlag/Label: Naxos 8.572601 (2011)
erschienen in: organ 2011/02 , Seite 54

4 Pfeifen

Die Zeiten, da man mit ungezügelten Experimenen den Klangkosmos der Orgel bis an die Grenzen auslotete, sind längst passé. Das klangliche Ergebnis dieser von den „Jungen Nachkriegs-Wilden“ propagierten neobarocken Ästhetik erweist sich aus heutiger Sicht vielfach als allzu mager und spröde, was für Orgelbau und Orgelrepertoire gleichermaßen gilt. Als ebenso folgerichtige wie trotzige Gegenbewegung schwappt nun eine Welle des Neo-Romantizismus zu uns, dessen zunächst frankophile Exzesse – inzwischen schon wieder stark abgeschwächt – allmählich von einem imperial-viktorianischen „Hoch“ von jenseits des Kanals abgelöst zu werden scheinen.
Man gibt sich hierzulande gerne als Kenner der britischen Orgelszene, führt kundig Orgelbauernamen wie Willis oder Hill ins Feld, spielt manchen Standard-Hit des angelsächsischen Repertoires mit allzu gerne mit preußischer Akkuratesse … Doch wenige sind so vertraut mit dem englischen Orgelschaffen, dass ein differenzierter Blick gelingt. Wer kennt etwa die genuin englische Orgelbewegung, die bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts begann und mit der Orgel der Londoner Royal Festival Hall (1953) einen Höhepunkt erreichte? Auch Blackburn mit seiner Kathedrale und der 1969 erbauten Walcker-Orgel interessiert beflissene England-Orgelreisende als ein Paradebeispiel für die Errungenschaften des angelsächsischen Orgelbaus des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts kaum. Kurioserweise übernahm man dort nicht das Pfeifenwerk aus dem Vorgängerinstrument von Cavaillé-Coll, sondern schmolz es ein, um daraus die neuen Principalchöre (Graet) zu gießen. Trotz „steiler“ Disposition klang das 32’-Werk nie schrill; 2002 veredelte es Wood of Huddersfield, fügte allerdings der Gravität im Pedal wegen zwei elektronische Register hinzu. Neu ist auch ein Solowerk mit überblasenden Flöten, einer zweiten Streicherschwebung sowie drei Zungen.
Dieses Instrument präsentiert Greg Morris folgerichtig mit einem Querschnitt des Orgelschaffens von Kenneth Leighton, einem der wichtigen britischen Kirchenmusik-Komponisten des 20. Jahrhunderts. Seine Musik, die als gemäßigt modern zu charakterisieren ist, vermag Tradiertes in eine eigenständige, zeigemäße Sprache zu überführen, ohne der Gefahr billigen Eklektizismus’ zu erliegen. Zudem weiß der Komponist um die klanglichen Besonderheiten der Orgel, so dass auch Klang­sinnliches nie zu kurz kommt.
Greg Morris, Associate Organist der Temple Church in London, ist ein exzellenter, facettenreich registrierender Spieler, der Instrument und Musik überzeugend und lebendig vorzustellen vermag. Wer sich für das englische Orgelschaffen der jüngeren Zeit interessiert oder aber seinen Horizont diesbezüglich weiten möchte, dem sei diese preiswert zu erstehende Naxos-CD  vorbehaltlos empfohlen.
Wolfgang Valerius