Organ Music of Pierre Kunc 1865–1941

French Composer & Organist. Damin Spritzer an der John Abbey-Orgel (1849) der Kathedrale St.-Etienne in Châlons-en-Champagne (Frankreich)

Verlag/Label: Raven OAR-184 (2023)
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2024/01 , Seite 62

Bewertung: 4 von 5 Pfeifen

Mit der vorliegenden Einspielung vom Juli 2023 setzt die US-amerikanische Organistin Damin Spritzer ihre 2011 bei Raven mit René Louis Becker (1882–1956) begonnene Reihe von Aufnahmen mit weniger bekannter Orgelmusik fort. Für die Werke des französischen Komponisten Pierre Kunc (1865– 1941) wählte die an der Universität Oklahoma tätige Orgelprofessorin geschickt ein bedeutendes, auf Prinzipal 32’ stehendes und mit mächtigem Schwellwerk versehenes Instrument aus der Werkstatt der Gebrüder Abbey aus. Die reichhaltige Klangpallette der Grundstimmen, der noch klassisch orientierten hellen Zungenstimmen, der zahlreichen Mixturen sowie der kernige Gesamtklang des 1849 erbauten und 1896 erweiterten einzigartigen Instruments (54 Register) allein macht die CD zu einem Erlebnis.
Damin Spritzer kommt der nachhallreichen Akustik der Kathedrale mit einer ruhigen Tempowahl und einer eher besonnenen Spielweise entgegen. Dennoch ist ihr einfühlsames und flexibles Spiel stets spannungsgeladen, ihre souveräne Spieltechnik macht die kraftvollen Darbietungen mitreißend, wenngleich die Musik bisweilen etwas langatmig wirkt. Um diesen Eindruck zu vermeiden und in der komplexen Raumakustik eine größere rhythmische Präzision zu erzielen, hätte man sich bei den thematisch wiederholten Elementen in der Fantasie beispielsweise eine stringentere, über die Pausenzeichen hinwegdenkende Gestaltung, ein artikulatorisch kontrastreicheres Spiel, eine deutlichere hemiolische Akzentverschiebung und ein etwas weniger systematisches Rubato gewünscht.

Das von Steven G. Young im reich bebilderten Booklet beschriebene Programm stellt zwischen 1899 und 1929 komponierte Werke von ganz unterschiedlicher Dauer (2 bis 12 Minuten) und Qualität zusammen. Pierre Kunc, von dem die Datenbank der französischen Nationalbibliothek 99 Werktitel auflistet, stellt sich als solider, klare Strukturen bevorzugender Komponist dar. Seine Harmonik knüpft an die spätromantische Tradition an, sein rhapsodischer Stil favorisiert transparente thematische und melodische Entwicklungen.
Pierre Kunc (nicht zu verwechseln mit dem tschechischen Komponis­ten Jan Kunc) wurde in Toulouse in eine reichverzweigte Musikerfamilie hineingeboren. Sein Vater wirkte ebendort als Kapellmeis­ter an der Kirche Saint-Etienne; seine Mutter, Pianistin, hatte am Pariser Konservatorium bei César Franck Unterricht erhalten. Pierre entschied sich erst spät, nach einem vorherigen Universitätsstudium, für die Musik. Mit 34 Jahren studierte er in Paris an der Niedermeyer-Schule. Er erhielt Orgelunterricht bei Eugène Gigout und studierte Komposition bei Ernest Guiraud. 1905 wurde er Organist- und Chorleiter an der Kirche Notre-Dame-de-la-Nativité im Pariser Stadtteil Bercy. In dieser Lebensphase komponierte er die meiste seiner Chor- und Orgelmusik. Ab 1928 war er als Kapellmeis­ter der Kirche Saint-Sulpice Kollege von Charles-Marie Widor und Marcel Dupré.

Helga Schauerte