Sebastian Aguliera de Heredia

Organ Music

Miguel del Barco Díaz an der Renaissance-Orgel von Santa Maria de la Consolación in Garrovillas de Alconétar (Spanien)

Verlag/Label: Brilliant 96180 (2021)
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2021/04 , Seite 62

Bewertung: 5 von 5 Orgelpfeifen

Sebastián Aguilera de Heredia (1561–1627) ist der wichtigste spanische Komponist für Tastenmusik seiner Zeit, und die Renaissance-Orgel in Garrovillas ist die älteste spielbare Orgel Spaniens und eine der ältesten Orgeln Europas. Dieses Zusammenspiel bringt auf den Punkt, warum man an diesen 75 Minuten Orgelmusik nicht vorbeikommt.
Räumlich haben Komponist und Orgel auf den ersten Blick nichts gemein. Sebastián Aguilera de Heredia lebte und wirkte im Nordosten Spaniens. Er gilt als der Begründer der Orgelschule von Zaragoza mit bedeutenden Komponisten Persönlichkeiten wie José Ximénez und Andrés de Sola. Garrovillas de Alconétar ist ein kleiner Ort im Wes­ten, unweit der Grenze zu Portugal, mit großer Tradition, regionalem Selbstbewusstsein und liebevoller Kulturpflege, der sich seiner europäischen Dimension durchweg bewusst ist. Vom 2000-Seelen-Ort in der Extremadura nach Zaragoza sind es gut 600 Kilometer.
Gerne verbinden wir die Orgelmusik des Siglo de Oro (1550– 1680) mit prächtigen großen Instrumenten, die mit königlichen Trompeten als mächtigen Horizontalregistern ausgestattet sind. Solche Orgeln entfalteten ihre optischen und klanglichen Quantitäten allerdings erst ab dem späten 17. Jahrhundert, lange nachdem unser Meis­ter das Zeitliche segnete. Segovia, Sevilla, Salamanca, Córdoba und weitere Kathedralen, Kloster- und Pfarrkirchen können mit solchen Instrumenten begeistern.
Hilfreich ist ein Hinweis aus dem englischsprachigen Booklet. Die Renaissance-Orgel von Santa María de la Concolación (https://organodegarrovillas.es) entspricht dem Instrumententyp, wie ihn Aguilera de Heredia meistens unter den Fingern hatte. Wir können uns so dem authentischen Klang annähern – wir betreiben etwas musikalische Archäologie. Werk und Instrument passen. Jetzt liegt es am Zuhörer, sich aufgeschlossen auf Aguilera de Heredias Musik einzulassen.
Vielleicht wirken die monothematischen Obras [= Tientos] des Meisters aus Zaragoza auf den ers­ten Blick ein wenig monoton. Aber es zeichnet die Kunst des Organis praeceptors aus, ein Thema intelligent und anspruchsvoll zu entwi­ckeln. Die musikalische Abwechslung findet auf verschiedenen Ebenen statt; besonders gut lässt sich das auf der rhythmischen Ebene nachspüren. Heredias Synthese aus Thema, melodischen und rhythmischen Ideen, Glosas, Abschnittsbildung, Varietas und Umfang der einzelnen Kompositionen ist wie bei seinem großen portugiesischen Kollegen P. Manuel Rodrigues Coelho (1555– 1635) mustergültig.
Es scheint kein großer Knall in der Musikgeschichte gewesen zu sein, als in Zaragoza „geteilte Re­gis­ter“ hörbar wurden. 1605 (1610, Grenzing) initiierte der Kathedralorganist den Umbau seiner Orgel. Die geteilte Lade, eine zwischen c’ und cis’ geteilte Klaviatur – medio registro – ermöglichte das klanglich unabhängige Spiel in Diskant- und Basslage. Werktitel in Aguileras Quellen geben erste Hinweise auf diese Kompositions- und Spielweise. Ebenso finden wir bei Aguilera das erste Mal die Bezeichnung falsa. Einfach gesagt, werden in Tientos de falsas („falsch“/ dissonant) progressiv die Dissonanzen in Dissonanzen aufgelöst. Gleichwohl gilt Bernardo Clavijo del Castillo (1545– 1626) als neapolitanischer Importeur dieser Kunst der Härte und des Vorhalts [durezze e ligature].
Man nehme einige feine Salatblätter, ein paar Oliven, ein paar zarte Zwiebelringe, etwas Salz, Chili und Knoblauch, die mit Öl angemacht werden – Ensalada. Wie ein Querschläger wirkt unter den 18 Orgelwerken – fünf liturgisch gebundene, vier für geteilte Register, drei Falsas und fünf polyphone Tientos – des Aguilera eine musikalische Ensalada! Obwohl auch hier alle Kompositionsmittel aus den Obras / Tientos eingesetzt werden, ist die Intention dieses musikalischen Gerichts durch das rhapsodische Rezept ein Salat! Ein Evergreen der Orgelliteratur, ein gelungenes Schaustück aus den Zeiten vor Bach und Widor.
Und hier noch plastisch und virtuos auf einer Renaissance-Orgel zelebriert, auf der sich Miguel del Barco Díaz ganz wohl und zuhause zu fühlen scheint. Ein Instrument ohne Zungenregister, die (europäische) Keimzelle der Orgel Entwicklungen, wo effektfreie Gestaltung, Agogik, Virtuosität, Geduld und Selbstlosigkeit den Vordergrund bestimmen. Es bleibt immer sehr gute, geistvolle, mitunter etwas humorvolle Musik. ¡Bon proveggio!

Johannes Ring