Williamson, Malcolm

Organ Music

Verlag/Label: 2 CDs, Naxos 8.571375-76 (2016)
erschienen in: organ 2016/04 , Seite 56

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Der Klang der J. W. Walker & Sons-Orgel in der Londoner Kirche Saint John the Evangelist wirkt etwas kühl, nüchtern und metallisch. 1963 erbaut (III+P/43), erklingt sie offenbar in einem akustisch recht trockenen Raum, der aus sich heraus wenig Wärme ausstrahlt und es kaum vermag, die Orgeltöne – hohe wie tiefe, satte und spitze – unter einen Klangbogen zu spannen. Aber es handelt sich um das Instrument, an dem Malcolm Williamson für einige Jahre als Organist gewirkt hat.
Malcolm Williamson? Der Name des 1931 in Sydney geborenen, im Alter von gut zwanzig Jahren nach England übergesiedelten und dort 2003 verstorbenen Musikers dürfte hierzulande wenig bekannt sein – bei den Briten dagegen ganz gewiss, schließlich bekleidete Williamson (als zum Katholizismus Konvertierter!) von 1975 an bis zu seinem Tod das Amt des „Master of the Queen’s Music“, war somit am Hof Elizabeths II. zuständig für alle musikalischen Belange.
Als äußerst produktiver Künstler zeigte er sich genreübergreifend aktiv, schrieb Sinfonien, Kammermusik, Orgel-, Klavier- und Violinkonzerte – und in nahezu jeder seiner Lebensphasen auch viel für Orgel solo. Erstaunlich, dass dieses Œuvre auf dem europäischen Festland keine Rolle im gängigen Orgelkonzertrepertoire spielt. Leider, muss man angesichts dieser CD-Produktion beklagen. Denn was der Interpret Tom Winpenny, Assistant Master of the Music an der Kathedrale von Saint Albans (UK), hier an Stücken versammelt hat, steht absolut auf der Höhe ihrer jeweiligen Zeit und dokumentiert sehr schön die stilis­tische Vielfalt des Orgelkomponis­ten Williamson.
Die erweist sich als durchaus noch spätromantisch gefärbt wie in den fünf assoziationsreichen Hei­ligen-Porträts (Little Carols of the Saints), mit denen Maria Magda­lena, Franz von Assisi, Stephanus, Ignatius und Paulus charakterisiert werden, bis hin zu Klängen, die klar und unmissverständlich Bezug nehmen auf Olivier Messiaen. Ein Paradebeispiel dafür liefert das vierte der Peace Pieces von 1970/71, eine Sammlung von sechs Meditationen, die nicht nur der Länge nach (mit rund 45 Minuten Spielzeit), sondern auch hinsichtlich ihrer ästhetischen Bandbreite als Williamsons Hauptwerk aufgefasst werden dürfen.
Résurgence du Feu wirkt angesichts seiner sprudelnden Lebendigkeit und Fantasie wie eine Improvisation, die einer der großen aktuellen französischen Meister erst ges­tern irgendwo auf einer großen Orgel abgeliefert haben könnte. Dabei ist dieses Werk das älteste auf Winpennys CD und stammt aus dem Jahr 1959. Wirklich erstaunlich!
Noch einmal ganz andere Wege beschreitet Williamson mit seiner Mass of a Medieval Saint (1973) und erspürt mit instinktiver Sicherheit die Atmosphäre mittelalter­licher liturgischer Musik. All diese Pretiosen auf einem klangsatten und farbexpressiven Instrument, das Sinfonik und Neoklassik in sich vereint, mit Tom Winpenny am Spieltisch – und alles wäre rundum perfekt!

Christoph Schulte im Walde