Bossi, Marco Enrico (1861-1925)
Opera omnia per organo vol. XII
Transkriptionen nach alten Meistern
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In vergangenen Zeiten galt es als standesgemäß und zum guten Ton einer (meist selbsternannten) Bildungselite gehörend, dass enzyklopädische Sammelwerke von A bis Z an augenfällig prominenter Stelle eindrucksvoll die Bücherwände zierten
Ebenso durfte bei Musikliebhabern eine möglichst lückenlose Kollektion audiophiler klassischer Referenzaufnahmen nicht fehlen.
Doch derartiges bildungsbürgerliches Sammlergebaren gehört der Vergangenheit an. Wissen und Informationen sind zur ständig und allüberall verfügbaren Ware geworden. Was zählt, sind die Mbit pro Sekunde, mit denen man sich auf den digitalen Datenautobahnen im Mausklick-Takt durch unendliche Ozeane digital aufbereiteter Informationen bewegt.
Und so riecht heute leider manche Gesamteinspielung (oder Gesamtaufführung) rasch nach reichlich akademischem Muff. Was sich als diskophile Klangdokumentation geriert, dokumentiert im besten Falle erst einmal nur die reine Fleißarbeit des Interpreten. Inwieweit das Ganze schlussendlich für den (heutigen) Hörer einen gesteigerten Nährwert besitzt, ist fraglich, zumal einer derartigen Gesamtschau naturgemäß eine den Hörer bei der Stange und Laune haltende Dramaturgie fehlt.
Bei der vorliegenden Bossi-Einspielung, welche titelgemäß nicht weniger als die opera omnia des Komponisten verspricht, befremdet indes, dass es hier kein einziges Werk aus der Feder Marco Enrico Bossis zu hören gibt (!). Stattdessen wartet CD 1 mit einer stattlichen Ansammlung von Werken italienischer Renaissance- und Barockmeister auf, die Bossi für Orgel eher adaptiert als wirklich bearbeitet hat, weiterhin Werke von J. S. Bach und Händel, hier etwa bearbeitet für Violine und Orgel (wobei sich die Bearbeitung darin bereits voll erschöpft, dass der Cantus firmus eines Bachschen Choralvorspiels einem Melodieinstrument zugewiesen wird).
CD 2 präsentiert sodann die 1908 von Bossi herausgegebene Sammlung Stücke alter italienischer Meister für die Orgel. Klanglich also eher ein Appendix, eine aus musikwissenschaftlicher Sicht eher marginale Randnotiz aus dem Leben eines Komponisten.
Will man dem ganzen editorischen Unterfangen dennoch etwas Positives abringen, dann ist es vielleicht und gerade der undoktrinäre, durchaus kreative Umgang mit Musik vergangener Generationen. Insofern macht der Organist Andrea Macinanti mit seiner Einspielung am Rande wieder Mut zur Neuentdeckung alter Musik abseits allzu scholastisch verlegter Gleise. Passend dazu das ebenso spontan ansprechende und frisch klingende Instrument, in seinem Ursprung ein Werk aus dem Jahr 1788, jedoch im Laufe der Jahrhunderte mehrfach umgebaut und modifiziert.
Fazit: Keine wirklich aufregende CD, aber auch keine, bei der man nun vorzeitig den Ausschalter drü-
cken müsste.
Wolfgang Valerius