hg. vom Orgelförderverein „Coudray-Rastenberg“ e. V. mit Ev.-Luth. Kirchengemeinde Rastenberg-Roldisleben
Nur eine Orgel
Zur Baugeschichte und Restaurierung der „Schulze-Orgel“ in Rastenberg
Nur eine Orgel? Nein – die Kirchengemeinde der thüringischen Kleinstadt Rastenberg mit etwas mehr als 2700 Einwohnern ließ in den letzten Jahren ihre schmucke klassizistische Kirche komplett restaurieren. Zu dem nach einem Stadtbrand 1824–27 vom Oberbaudirektor des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach, Clemens Wenzeslaus Coudray, geschaffenen repräsentativen Ensemble gehört auch die Orgel von Johann Friedrich Schulze, dem wohl produktivsten Mitglied dieser zunächst in Mitteldeutschland, später auch in England tätigen Orgelbauerfamilie. Das Instrument mit II/25 hatte ohne gravierende Umgestaltung überdauert, wäre aber in den 1980er Jahren beinahe aufgegeben worden. Jahrzehnte hindurch hatte sich die Gemeinde für eine Restaurierung eingesetzt, die nun 2022 durch Hermann Eule Orgelbau (Bautzen) abgeschlossen wurde.
Am Bau der Rastenberger Orgel war maßgeblich Johann Gottlob Töpfer beteiligt, der zeitgleich die „Hauptreparatur“ (de facto ein technischer Neubau) der Orgel in der Stadtkirche von Weimar („Herder-Kirche“) ausführte. Den über weite Strecken wörtlich wiedergegebenen Archivalien nach zu schließen, waren beide Projekte wahre „Zangengeburten“, wie der Töpfer-Spezialist Hans-Christian Tacke in seinem ausführlichen vergleichenden Beitrag nachweist. Sowohl Orgelbauer Schulze als auch der Orgel- und Musikexperte Töpfer waren Koryphäen ihres Fachs – wenngleich sie sich nicht immer einig waren; die Orgeln in Rastenberg und Weimar sind für beide Meilensteine ihres beruflichen Werdegangs. – Wegen fehlender Akten lässt sich die Genese von Schulzes Schwesterwerk von 1827 in Gotha-Siebleben nur indirekt und unvollständig verifizieren; das Werk wurde 1932/33 umgebaut, enthält aber ebenfalls noch viel Substanz aus seiner Erbauungszeit.
Neben ausführlichen Darstellungen (Jiří Kocourek) der Rastenberger Orgel und ihrer Restaurierung enthält der Band komplexe Beiträge zu Orgelbauerfamilie Schulze. Wolfram Hackel bietet ein Verzeichnis aller bislang bekannten Arbeiten dieser Dynastie nebst einem Blick auf deren Orgel für die Weltausstellung 1851 in London. Ebenfalls aus der Feder von Jiří Kocourek stammt ein Beitrag, der ausführlich auf die unternehmerischen, technischen und klanglichen Neuerungen Johann Friedrich Schulzes eingeht. In weiteren Texten werden die Kalkanten und die Bedeutung der Rastenberger Orgel für den Thüringer Orgelsommer bedacht.
Zum Glück wird mittlerweile auf eine ansprechende Gestaltung auch bei Publikationen zur Orgelkunde geachtet. Manche typografischen Details wie hier die Doppelstriche vor Absätzen oder die (verspiegelten) Hervorhebungen wirken jedoch etwas unmotiviert. Positiv hervorzuheben ist dagegen die opulente Ausstattung mit vielen, teils großformatigen und oft ästhetischen Abbildungen. Sie erlauben Einblicke, die so nur während der Restaurierungsarbeiten möglich waren, oder aus normalerweise unzugänglicher Perspektive. Dadurch entfaltet diese gelungene Dokumentation über ihren hohen und vielfältigen Informationsgehalt hinaus auch bibliophile Qualitäten.
Markus Zimmermann