Music for two organs

The Viennese Habsburg Court of the 17th Century

Verlag/Label: audite 92653 SACD (2012)
erschienen in: organ 2013/01 , Seite 52

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Der Stammsitz der Habsburger, die später zu einem der mächtigsten Herrschergeschlechter Europas aufstiegen, befand sich im Schweizer Kanton Aargau. Dort gründete Rad­bot, einer der früheren Vertreter dieser Dynastie, im Jahr 1027 das Kloster Muri. So ist es nicht unpassend, wenn die vorliegende Einspielung von Orgelmusik, die im 17. und frühen 18. Jahrhundert am Habsburger Hof in Wien komponiert oder musiziert wurde, nicht in Wien selbst, sondern in der Klos­terkirche von Muri entstand. David Blunden und Johannes Strobl, die beiden Interpreten der Aufnahme, nutzen insbesondere die dort vorhandene Möglichkeit zum klang­lichen Dialog. Denn gleich zwei im Jahre 1743 von Joseph und Viktor Ferdinand Bossart errichtete und zuletzt 1991/92 restaurierte historische Instrumente stehen ihnen zur Verfügung: Evangelien- und Epis­telorgel, die jeweils ein Manual und Pedal (mit kurzen Oktaven im Bass) besitzen und auf gegenüberliegenden Emporen positioniert sind.
Mustergültig sind im CD-Book­let neben den Dispositionen auch taktgenau die jeweiligen Registrierungen vermerkt. Ihr Repertoire gliedern die beiden Organisten nach den Regierungszeiten der musikliebenden und -kundigen Habsburger Kaiser von Ferdinand II. (1619-37) bis hin zu Leopold I. (1658-1705), wobei Letzterer mit zwei Folgen von Tanzsätzen selbst als Komponist zu Gehör kommt.
 Die barocke Praxis der Inta­volierung von Vokalmusik greifen Blunden und Strobl auf, wenn sie Giovanni Priulis Civitas beata Ierusalem in echoartiger Mehrchörigkeit ertönen lassen. Sie stellen bei Giovanni Valentinis auf beide Orgeln verteilter Conzon a 6 in G raffiniert Flöten- und Fanfarenklang gegeneinander oder führen in einer anderen Conzon dieses Komponis­ten einen Dialog, bei dem sich die Partner zu immer kräftigerer, ges­tisch empfundener Klangrede anzustacheln scheinen.
In weiteren Stücken dieser CD kommen die zwei Organisten auch jeweils solistisch zum Zuge, wobei sie sich insbesondere mit offenbarem Vergnügen dem Genre der Tier­stimmenimitation zuwenden, vertreten durch Alessandro Pogliettis Schilderung von Hennen und Han­nen Geschrey sowie zwei Werke Johann Kaspar Kerlls: sein Capriccio sopra il cucu und die witzige Illus­tration eines wimmelnden Grillenschwarms in Fugenform.
 Ergänzt wird die kurzweilige Einspielung durch Beiträge der Choralschola der Cappella Murensis, deren einstimmiger Gesang nach historisch belegter Wiener Praxis dezent mit Continuo-Orgelakkorden gestützt wird, wobei nach dem Alternatim-Prinzip die österlichen bzw. pfingstlichen Sequenzen Victimae paschali laudes und Veni Sancte Spiritus im Wechsel mit anonym überlieferten Praeambula aus dem Musikarchiv des Wiener Minoritenkonvents ertönen.

Gerhard Dietel