Meister Schüler
Werke von Franz Liszt und Julius Reubke
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Mit Spannung begegnet man der Einspielung der tiefsinnigsten und hochmögendsten Orgelwerke der deutschen Romantik auf dem 1862 ebenso ambitioniert erbauten Großinstrument, dem ganzen Stolz seines Erbauers Friedrich Ladegast und wird am Ende auch nicht enttäuscht. In neuem Glanz nach gründlicher technischer Überarbeitung und klanglicher Erweiterung um das fünfte Manualwerk (III. Récit expressif) lässt die monumentale Orgel der Leipziger Hauptkirche St. Nikolai keine Wünsche offen für die überschäumende Klangfantasie von Liszt und Reubke. Gerade die Vielfarbigkeit in allen sanften Stimmen, die sowohl in Liszts Klangfantasie wie auch in Ladegasts Personalstil die größte Bedeutung tragen, kann hier exemplarisch gehört werden. So ist es auch eine seltene Gelegenheit, in dieser Symbiose von Klangspektrum und kompositorischer Intention die Zelebration des romantisch versunkenen breiten Zeitmaßes zu erfahren.
Jürgen Wolf wagt es, mit dieser Klangaura in die Größe der pathetischen und die Zeit vergessen machenden Ruhe der Tempoempfindung einzutauchen, die sich sonst meist nur über Berichte von Aufführungsdauern aus dem 19. Jahrhundert erschließen lässt. Dabei fehlt es den pianistisch virtuosen Passagen nicht an Brillanz, und es wäre nur der Wunsch, auch bei der Gestaltung der groß angelegten Schlüsse die entsprechende Spannkraft bis zum Schlussakkord ausgehalten zu finden: Da ist der bis dahin getragene Hörer bei beiden großen Werken jeweils vom eiligen Ende des bis dahin so arkadisch angelegten Wanderns durch die weiten Tonwelten überrascht.
Mit den Variationen über ein Motiv aus der Kantate Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen und dem Crucifixus der h-Moll Messe von J. S. Bach von Liszt und der Sonate c-Moll Der 94. Psalm von Reubke finden sich die beiden herausragenden Kompositionen von Großmeister und genial begabtem Schüler zusammen, wenngleich natürlich der formale und idiomatische Einfluss von Liszts Ad nos und der h-Moll Sonate für Klavier auf die noch
näher am Meister komponierte b-Moll-Klaviersonate Reubkes und nachfolgend der Orgelsonate das Lehrer-Schüler Verhältnis viel deutlicher werden ließe; doch wäre dies eine primär editorische Fragestellung. Der Repertoirewert der Einspielung wird gesteigert durch Reubkes selten zu hörendes, einzeln stehende schlichtes Trio in Es-Dur sowie das dem Mittelsatz der Psalmsonate weitgehend entsprechende Adagio, notiert als Klaviersatz im Album der Prinzessin Marie von Sayn-Wittgenstein, der Tochter von Liszts langjähriger Lebensgefährtin.
Nicht zuletzt ist die Aufnahme eine leise Aufforderung, die dunklen und schweren deutschromantischen Klangwelten vor Ort und nicht medial zu behorchen, denn wie bei Celibidaches Bruckner-
Interpretationen bleibt die letzte Klangtiefe in den feinfarbig und langsam sich ausbreitenden mystischen Klangwelten der technischen Reproduzierbarkeit auf CD wohl nachhaltigst verschlossen.
Ralf Bibiella