Popp, Susanne
Max Reger. Werk statt Leben
Biographie
Nun ist sein groß gefeiertes Gedächtnis anlässlich des 100. Todestages 2016 schon wieder zu drei Vierteln vorüber. Ein Grund mehr, die rechtzeitig zu diesem Jubiläum von der langjährigen Direktorin des Max-Reger-Instituts | Elsa-Reger-Stiftung (MRI) in Regers einstigem Hausverlag Breitkopf & Härtel vorgelegte umfangreiche und zugleich aktuellste Biografie Max Regers kritisch zu würdigen. Sie beleuchtet auf dem Kenntnisstand der jüngsten Reger-Forschung faktenreich das ereignisreiche Leben desjenigen Künstlers um die vorletzte Jahrhundertwende, dessen Bekanntheitsgrad (nach wie vor) in einem merkwürdigen Verhältnis zu einem weithin noch immer zu Unrecht unterbewerteten und großenteils unentdeckten Riesen-uvre steht.
Reger, der Orgelkomponist, heißt es gemeinhin. Doch dass der Arbeitswütige 1908 ein Violinkonzert in A-Dur schrieb, ein Klavierkonzert in f-Moll, dass er 1905 eine mehr als bloß interessante Sinfonietta verfasste, vier Cellosonaten, sechs Streichquartette oder Orchesterouvertüren etc. etc. all dies ging unter im holzschnittartig verfertigten Bild des Tastenlöwen, Bach-Bewunderers (Orgelkomponisten), Straube-Freundes
und letztlich auch im Fortschrittsglauben, der die Musikgeschichte mitschrieb. Nur wenige gestandene Musikkenner wissen etwa, dass Reger mit über 250 Liedern ein nicht weniger umfangreiches und beeindruckendes Liedschaffen hinterließ als Robert Schumann.
Susanne Popp räumt mit manchen etablierten Urteilen und hartnäckigen Vorurteilen konsequent auf: Bach schwang zwar schon oft mit, doch Reger begriff ihn ganz ähnlich wie Wagner den Symphoniker Beethoven als Endpunkt, der innovativ weiter gedacht werden will. Und Letzteres tat Reger zweifelsohne, indem er in seinen eigenen Werken keine klassizistischen Stilkopien von Bach lieferte, sondern Prinzipien aus dessen Schaffen (barocke Formen, Polyphonie etc.) in seinem eigenen postromantischen Sinne adaptierte und transformierte. In der berüchtigten Inferno-Fantasie macht (nicht nur) die Autorin wuchtige Klangmassen aus, die kein tonales Zentrum haben und den ganzen Zwölftonraum umfassen. Das Spätwerk Requiem Aeternam wiederum sieht Popp aufgrund seiner flächigen Anlage und Expressionsfeldern als Antizipation der Ästhetik eines György Ligeti.
Susanne Popp ist als langjährige Leiterin des Karlsruher Max-Reger Instituts eine versierte und international anerkannte Fachfrau für Werk wie Leben ihres musikalischen Schützlings. Enorm vertraut mit den Quellen, belegt sie, wie Richard Wagner den Ausschlag gab für die Komponistenkarriere. Beim gelehrten wie renommierten Musikforscher lernt der junge Reger die deutsche Musiklinie BachBeethovenBrahms, die Italiener wie Franzosen (und Engländer) weithin in den Schatten stellen sollte. Nein, ein früher Kosmopolit war Reger im nationalen Kontext des Wilhelminischen Kaiserreichs gewiss nicht, um es freundlich auszudrücken.
542 gut lesbare Seiten hat Popps eindrucksvoller Wälzer. Gespickt ist er mit zahlreichen Zitaten, die ein sehr direktes, doch nie unangemessen distanzloses Verhältnis zum Komponisten schaffen. Schwerpunkte setzt Popp auf die Lebenswege und nicht auf eine analytische Durchdringung zentraler Werke. So erfährt der Leser Aufschlussreiches über den unentwegten Arbeiter, den buchstäblichen workaholic Max Reger, der seinem Schaffen nur wenige und obendrein ungesunde Kontrapunkte entgegensetzte. Trotz latenter Warnungen der Eltern trank (fraß) und rauchte Reger, was das Zeug hielt
Sein allzu früher Tod am 11. Mai 1916, der ihn gerade einmal 43-jährig ereilte, war Ergebnis eines höchst ungesunden Cocktails, der fraglos manifest selbstzerstörerische Züge aufwies und den Popp prägnant so beschrieb: Von allen vorausgesehen und doch plötzlich war sein Herz dem permanenten Überdruck, komponierend gegen den Tod und konzertierend gegen das Vergessen anzukämpfen, nicht länger gewachsen
Fazit: Das Buch ist uneingeschränkt empfehlenswert nicht nur zum/im Regerjahr 2016!
Torsten Möller