Mallorca Edition – Historische Orgeln

mit Werken von Soler, Domenico Scarlatti, Lidón, Aguilera de Heredia, Bruna. Gespräche mit Gerhard Grenzing und Martin Schmeding

Verlag/Label: 6 SACDs, Cybele CYB001404 (2017)
erschienen in: organ 2017/03 , Seite 46

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Die Mallorca Edition umfasst fünf Musik-SACDs mit Kompositionen von Padre Antonio Soler (1), Domenico Scarlatti (2), José Lidón Blázquez (3), Sebastián Aguilera de Heredia (4) und Pablo Bruna (5), eine SACD (6) mit zwei Gesprächen (auch als USB-Stick oder Download-Optionen mit wählbarer Audioqualität beziehbar) und ein deutsch-englisches Booklet im Umfang von 96 Seiten. Musik, die zwischen 1580 und 1827 entstand, gespielt auf der Jordi Bosch-Orgel von 1762 in Sant Andreu, Santanyí (1, 2, 3), auf der Gabriel Thomàs-Orgel von 1823 in Sant Francesc de Paula, Campos (4) und auf der Mateu Bosch-Orgel von 1746 in Sant Pere, Sencelles (5) auf Mallorca.
Als Rezensent neigt man naturgemäß kaum zu Superlativen, doch die Mallorca Edition: Historische Orgeln begeistert als vielschichtiges Projekt in vielerlei Hinsicht.
Martin Schmedings Werkauswahl und der gekonnte Vortrag der eingespielten Opera ermöglichen es, die fünf Meister kennen und schätzen zu lernen. Außerdem sind die Komponisten bestimmten Orgeln zugeordnet (oder vice versa), was es ermöglicht, umfassende Klangbilder zu vermitteln.
Viele Musikstücke von Soler (1729–83) und Scarlatti (1685–
1757) sind auf die Orgel übertragene Cembalo-Sonaten. Schmeding lotet die Polaritäten zwischen den die Zeit vergessenden, quasi im Raum stehenden Klängen ruhig angelegter oder aufgefasster Kompositionen und virtuoser Werkkaskaden nuancenreich aus; das ist überzeugend, klanglich und intellektuell gut nachvollziehbar. Das Rezept: Man nehme die Klangidiome der verschiedenen Tiento- und Verso-Typen und der Batallas und übertrage diese mit stilistischem Feingefühl auf (spät-) barocke Cembalo-Sonaten, und: opus factus est – es funktioniert!
Gute Anhaltspunkte für die servierten Cembalo-Orgel-Leckerbissen finden sich besonders bei J. Lidón (1748–1827); noch um 1800 ist die Repertoiregemeinschaft (besaitet oder gepfiffen), z. B. „para clave [= Cembalo] o para órgano con trompeta real“ (3) präsent. Die Fakturen vieler Cembalo- und Orgelwerke entsprechen sich weitgehend. Cembalostücke passen oft auf den Tasten-/Tonumfang der Orgel; andere werden passend gemacht, wobei Solers und Lidóns Werke mit liturgischem Bezug bei den Einspielungen nicht berücksichtigt sind. So kommt Padre Solers Wachtel­sonate „de la Codorniz“ als feierliche Entrada daher – ein gelungener Editionseinstieg (1). Wie bei seinem Lehrer Domenico Scarlatti sind hier und dort Elemente und Kolorit iberischer Volksmusik gut erkennbar. So hat es Hand und Fuß, mit Solers legendärem Fandango über 13 Minuten den sakralen Raum von Sant Andreu tänzerisch aufzumischen. Das reißt mit; eine hochkonzentrierte, virtuose, amüsant freche Leistung des ausführenden Musikers.
Einige Sonaten von Scarlatti sind in italienischen Manuskripten mit Anmerkungen versehen, die eine Ausführung auf der Orgel nahe legen; allerdings handelt es sich nicht um Autographen. Doch mit einer glücklichen Auswahl seiner brillanten Sonaten bzw. Essercizi wird der Klangkosmos der großen Jordi Bosch-Orgel lebendig (2). „Dieses Instrument […] überzeugt auch heute noch durch die klangliche Schönheit seiner Flöten, Kornette, Prinzipale und Zungen, all das unterbaut von einer Posaune von einzigartiger Bauart und Prägnanz“ (Gerhard Grenzing).
Neben der spätbarocken und frühklassischen Tastenmusik des kö­niglichen Umfelds in und bei Madrid, die wie ein Nachbeben, manchmal wie ein Salutschuss für vergangene glänzende Tage des Siglo de Oro wirkt, liegt ein zweiter Schwerpunkt auf der Orgelschule von Saragossa. Mit S. Aguilera de Heredia (1561–1627) erreicht die Entwicklung spanischer Orgelmusik einen Höhepunkt, wenn alle wichtigen und typischen Elemente formaler und klanglicher Natur prä­sent werden. Die Ensalada, ein Unikat im Repertoire, eignet sich mit ihren vielen kontrastierenden Abschnitten als appetitliche „ensalada mista“ besonders gut, die Thomàs-Orgel in Campos vorzustellen (4).
Um 1746 baute Jordi Boschs Vater die Orgel in Sencelles (5), deren wenige Register „eine erstaunliche Vielfalt von Registrierungsmöglichkeiten“ bieten (Grenzing). Acht Kompositionen von Pablo Bruna (1611–79) repräsentieren den souveränen Ausgleich von Stimmführung, Kontrapunkt, Spielfiguren, melodischen Einfällen und rhythmischen Momenten. Mit dem Tiento lleno sobre Ut re mi fa sol la von acht Minuten Länge empfiehlt sich Bruna als führender Kontrapunktiker und einer der renommiertesten Orgelkomponisten des späten Siglo de Oro. Es verwundert nicht, dass er 1650 an den Madrider Hof gerufen wurde.
Ein dritter und eigentlicher Schwerpunkt sind drei mallorquinische Orgeln, womit die Edition ihrem Titel völlig gerecht wird. Diese drei historischen Instrumente repräsentieren eine reiche lokale Orgellandschaft, die Verbindungen zum (spanischen) Festland und zu anderen bedeutenden Orgelregionen, wie z. B. Flandern, aufweisen kann. Hier kommt Gerhard Grenzing zu Wort: In der Reihe „Künstler im Gespräch“ führte Mirjam Wiesemann August 2011 ein Interview mit dem Orgelbauer in dessen Werkstatt im spanischen El Papiol bei Barcelona. Exzellente Fragen – entsprechende Antworten mit Themen wie „Die historischen Orgeln Mallorcas. Sie restaurieren heißt, mit ihnen leben“ und „Ein wenig Verrücktheit und sehr viel Liebe“.
Das zweite Gespräch führte Mir­jam Wiesemann mit dem Organis­ten Martin Schmeding am Spieltisch der Jordi Bosch-Orgel in Santanyí. Allgemeine Fragen zum Orgelbau, zur Geschichte der Orgel und ihrer Musik verbinden sich in den Mauern von Sant Andreu harmonisch mit der regionalen Orgellandschaft, ihren Orgelpersönlichkeiten und dem begnadeten Jordi Bosch.
Nach der detaillierten Titelübersicht und einer kurzen Einleitung (Wiesemann) bringt das Booklet weiterhin zwei Essays, die die Gespräche (6) trefflich ergänzen: Martin Schmedings Beitrag „Das Siglo de Oro und seine Auswirkungen: Zu den Komponisten und Werken“ und Gerhard Grenzings Beitrag „Die spanische Orgel“. Hauptthemen sind Orgeln unter besonderer Berücksichtigung der lokalen Verhältnisse und wohldosierte biografische Angaben zu den Komponis­ten / Organisten und den Orgelbauern – von damals wie heute. Beide Essays bieten eine glückliche Mischung aus wissenschaftlich-analytischen Beob­achtungen und persönlichen Erfahrungen je eines Orgelbauers und eines Organisten, die großes Wissen über eine komplexe Materie haben und dieses motiviert und mit einer feinen Dosis an Humor mitzuteilen und mit viel Liebe auszudrücken wissen. Mit genaueren Quellenangaben in den Essays und bei den Musikwerken wäre es sogar fast eine Edition mit wissenschaftlichem Anspruch. Es sind berührende Dokumentationen mallorquinischer Orgeln mit entsprechendem musikalischen Repertoire, eine Einladung für jeden, der Klänge spanischer Orgeln und spanischer Musik kennen lernen oder hören möchte.
Kunstvoll, geschmackvoll und liebevoll bis ins Detail: Auch dem Auge wird viel geboten. Eine Fülle aussagekräftiger Fotos und Bilder schmücken die Mallorca Edition und verleihen der Dokumentation zusätzlich Gewicht. Bleibt dem Rezensenten, den verantwortlichen Ma­chern dieser gelungenen diskophilen Edition aus tiefs­tem Herzen zuzurufen: Gràcis!

Johannes Ring