Mahler, Gustav

Mahler Songs

Kindertotenlieder / Fünf Lieder nach Gedichten von Rückert / Urlicht / Der Abschied

Verlag/Label: Musica Rediviva, MRSACD-018 (2008)
erschienen in: organ 2010/04 , Seite 52

Bewertung: 3 Pfeifen

Gustav Mahler wird derzeit anlässlich seines 150. Geburtstags und des sich bald an­schließenden 100. Todestages gefeiert. Man sollte annehmen, dass dieses Jubiläum des Sinfonikers und Liedschöpfers in der Orgelszene kaum Spuren hinterlassen würde – Kirchenmusik und spe­ziell Orgelkompositionen hat Mahler schließlich nicht hinterlassen. Aber diese Annahme erweist sich als Irrtum, wie die vorliegende CD-Neuveröffentlichung zeigt, auf der Lieder und Gesänge Gustav Mahlers (als Transkriptionen) für Altstimme mit Orgelbegleitung erklingen.
Ihren ersten Impuls bezog die CD aus einer Auffüh­rung der Kinder­toten­lieder in einem Kirchenkonzert zu Allerheiligen 2007, bei der der schwedische Organist Johannes Landgren und die Altistin Maria Forsström die Klavierfassung der Mahler’schen Gesänge zur Grundlage ihrer Interpretation machten. Eine unerwartet positive Publi­kums­reaktion veranlasste die beiden, ihr Experiment klanglich zu verfeinern und inhaltlich zu erweitern. Andere Solo-Gesänge Mah­lers, deren Texte religiöse Bezüge oder Konnotationen haben, boten sich für eine Versetzung in den Kirchenraum an: das „Urlicht“ aus der Zweiten Sinfonie, „Um Mitternacht“ und „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ aus den Fünf Liedern nach Gedichten von Rückert, schließlich der finale „Abschied“ aus dem Lied von der Erde.
Zwischen Imitation des Mahler’schen Orchester-Originalklangs mit Mitteln der Orgel und eigenstän­diger Klangfindung auf seinem Instrument hat der Organist Johannes Landgren seinen Weg gesucht und gefunden. Realisiert wurden diese Transkriptionen an der viermanualigen Orgel der Göteborger Vasa-Kirche, die 1909 von Eskil Lundén errichtet und 1952 um ein Rückpositiv erweitert wurde; das Instrument vereinigt in sich Elemente schwedischer und deutscher roman­tischer Orgelbauweise (Lundén arbeitete zeitweilig in der Werkstatt von Wilhelm Sauer in Frankfurt/Oder).
Was die solistischen Bläserstimmen in den Mahler’schen Partituren betrifft, kommt ihnen der Klang der Lundén-Orgel oft täuschend nahe, was im Bereich der Streicher natur­ge­mäß nicht gleichermaßen gut funk­tioniert. Ausschlaggebend ist jedoch, dass die durchsichtige Polyphonie von Mahlers Rückert-Vertonungen im Wesentlichen bewahrt bleibt, wenn auch in der Kirchenakustik manches weniger klar zeichnend als leicht flächig verbreitert heraustritt. Hinzu gewinnt die Orgelübertragung den Originalen ein insbesondere in die Tiefe erweitertes Klang­spektrum im Subbassbereich.
So gut Gesängen sinfonischen Zuschnitts wie dem „Urlicht“ und dem „Abschied“ das neue Klanggewand auch steht: ihre ästhetischen Grenzen erreicht die Orgel-Transkription bei den zur zyklischen Abrundung mit aufgenommenen Rückert-Vertonungen weltlichen Gehalts und intimeren Charakters: Das „Liebst du um Schönheit“ wirkt, akustisch in den Kirchenraum versetzt, schlicht fehl am Platz.
Gerhard Dietel