Aho, Kalevi

Ludus solemnis

Music for and with Organ

Verlag/Label: BIS-1966 (2014)
erschienen in: organ 2014/03 , Seite 54

4 von 5 Pfeifen

Mit einer vorläufigen Schaffensbilanz von fünf Opern, 15 Sinfonien, zwanzig Konzerten nebst anderen Orchesterstücken, etlichen Vokalwerken und zahlreichen Kammermusiken ist Kalevi Aho (*1949) der produktivste finnische Komponist seiner Generation. Nach Studien in Helsinki (bei Einojuhani Rautavaara) und Berlin (bei Boris Blacher) lehrte Aho an der Sibelius-Akademie in Helsinki, bevor er sich 1993 aufs freie Musikschaffen verlegte. 
Lange habe er es als Einschränkung empfunden, dass sich der Tas­tenanschlag bei der Orgel zwar auf die Artikulation auswirke, nie aber auf die Lautstärke. Als Geiger störte ihn zudem die moderne „gleichstufige“ Temperatur. Doch bestach ihn der Farbenreichtum der Register bzw. ihrer Mischungen, der mächtige Tonumfang der Orgel und die Fallhöhe vom Fortefortissimo ins zarteste Pianissimo, „die erschüttern kann“. Die meisten seiner Orgelkompositionen sind Gelegenheitswerke und allesamt tonal verankert. Auch Ludus solemnis (1978) verdankt sich einem respektablen Anlass: der Orgelweihe in der Kirche von Ahos Heimatstadt Forssa. Während des Komponierens befand sich die Orgel noch im Bau, so dass ihm wohl die Disposition vorlag, aber der sinnliche Eindruck der einzelnen Register noch fehlte, weshalb Aho sich auf allgemeine Vorgaben (wie Zungen- oder La­bial­pfeifen) beschränkte. 
Zweckbedingtes Komponieren ist für den Finnen – wie für die „alten Meister“ vor Anbruch des Geniezeitalters – eine Selbstverständlichkeit. Statt spekulativer Selbstergründung oder experimenteller Neulandgewinnung geht es ihm um die „ethische Verantwortung des Komponisten“ (Kimmo Korhonen). Nach seinem Verständnis soll Musik „den Hörer erregen und die Welt auf neue Art erfahrbar machen“. Musik, gro­ße Musik zumindest, habe Bekenntnis-Charakter: als äußere jemand seine Freude, seinen Kummer, sein Glücksgefühl, seine Verzweiflung …
In memoriam entstand 1980 zum Tode des finnischen Prosaisten und Lyrikers Juha Mannerkorpi, für den der Mensch ab ovo ein unberechenbares Wesen war. Das Stück gründet sich auf die „tonangebenden“ Buchstaben des Dichternamens. Den Mangel an Register­farben auf der kleinen Orgel der Friedhofskapelle suchte Aho mittels „Addition und Subtraktion von Registern“ auszugleichen. Als Füllsel zwischen seiner 8. Sinfonie für Orgel und Orchester und seiner 9. Sinfonie für Posaune und Orchester komponierte er 1994 einen Epilog für Posaune und Orgel. Sein Duo Quasi una fantasia huldigt in erster Linie der Aura des Horns. 
Ein Meisterstück eigener Art bietet Ahos Ergänzung der unvollendeten (letzten) Quadrupelfuge aus Bachs Kunst der Fuge. Laut Nekrolog starb Bach, nachdem er sein Namensmotiv B–A–C–H als Themenkopf in die dritte Teilfuge eingeführt hatte. Abschließend sollte noch eine Spiegelfuge folgen. 2011 für Jan Lehtola ertüftelt, den Orgelvirtuosen der Paulskirche in Helsinki, ergänzte Aho Bachs Vermächtnis um fast ein Drittel seiner Länge. Wobei er sich in den kontrapunktischen Kosmos des Lehr- und Vortragswerks versenkte und sich jeglicher "Modernisierung" enthielt.
 
Lutz Lesle