Reger, Max

[Lieder und Orgelwerke]

Verlag/Label: Rondeau ROP6133 (2016)
erschienen in: organ 2017/02 , Seite 56

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Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges ließ Max Reger 1914 den Blick wieder auf die Komposition religiöser Werke richten, darunter die 12 Geistlichen Lieder op. 137. Zwei dieser Lieder (Nr. 8 „Morgengesang“ und Nr. 4 „Am Abend“) sind neben den beiden bereits 1907 komponierten Liedern Ich sehe dich in tausend Bildern und Meine Seele ist still zu Gott op. 105 sowie zwei weiteren geistlichen Werken (WoO VI/13.10 Schönster Herr Jesu und WoO VII/36 Wohl denen, die ohne Wandel leben) Hauptbestandteil der vorliegenden Einspielung mit der Mezzosopranistin Susanne Langner und dem Leipziger Thomas­organisten Ullrich Böhme.
Es sind zumeist betont schlicht gehaltene Liedsätze mit homorhythmischem Begleitsatz. Reger hatte die Texte unterschiedlichen Quellen entnommen, darunter die Sammlung Der deutsche Psalter, Dichtungen von Novalis und Hoffmann von Fallersleben, sowie Psalmen. Mit Ausnahme Letzterer durchweg stro­phisch angelegt, ergeben sich hier nur in geringem Maße gestalterische Möglichkeiten der künstlerischen Interpretation, ja Melodik und Text verweigern sich nachgerade einer ausdruckshaft überhöhenden Annäherung. Susanne Langner beherzigt diese auferlegte Zurückhaltung mit schlankem und geradlinigem Duktus und sie weiß mit ihrer feinfühligen, stimmlich lichten Präsenz im Nachzeichnen der getragenen melodischen Phrasen genau das richtige Maß an natürlicher Emotion einzubringen. Begleitet wird sie dabei von Ullrich Böhme mit der geforderten Dezenz.
In zwei „großen“ Orgelwerken Regers, seiner ersten (fugenlosen) Choralphantasie über „Ein feste Burg ist unser Gott“ op. 27 und der im Jahre 1900 vollendeten Phantasie und Fuge über B-A-C-H op. 46, welche die Lieder umrahmen, vermag Böhme sein solistisches Potenzial nachzuweisen. Er geht an Regers verzweigte Textur hörbar mit einer an der Musik des Barock geschulten Durchsichtigkeit heran, die den Komponisten, der Bach über alles schätzte, gleichsam näher an sein Vorbild rücken lässt.
Böhme weiß der 2005 restaurierten und auf den Straube-Stand von 1908 zurückgeführten Sauer-Orgel in der Thomaskirche mit seiner Registerwahl eine impressive klangliche Transparenz zu entlocken, ohne der Forderung auch eines vollstimmigen Gestus je irgendetwas schuldig zu bleiben. Farben- und variantenreich gehalten und voller feiner dynamischer Nuancen legt er in Regers kompositorischer Struktur der Phantasie op. 27 eine Architektur offen, die die traditionellen barocken Muster, auf die Reger letztlich noch baut, und auch den immer wieder in den Fokus gerückten Choral gut hörbar macht. Auch in der B-A-C-H-Phantasie op. 46 bleiben Durchsichtigkeit und Durchhörbarkeit Leitlinie des interpretatorischen Ansatzes Böhmes, der darüber hinaus getragen ist von der Lebendigkeit einer weit gefassten Dynamik und feinfühliger Tempomodifikation.
Der in der Mitte der Werkfolge platzierten Trauerode aus dem späten Opus 145 vermag Böhme eine klare Diktion zu verleihen, die den fragilen Charakter des Werks herausstreicht.

Thomas Bopp