Debussy, Claude
La Cathédrale engloutie
Préludes II | Suite bergamasque. Piano Works in Transcription for Organ
4 von 5 Pfeifen
Grundlegendes Prinzip jeder musikalischen Bearbeitung ist die Abstraktion der gewählten Vorlage und deren Adaption auf die neuen Verhältnisse durch den Bearbeiter. Das Ganze gleicht also einer phänomenologischen Betrachtung, bei der sich aus der ursprünglichen Idee von selbst neue Abbilder evozieren, die der Bearbeiter fixiert, um sie anschließend als Grundlage einer Interpretation am Instrument zugänglich zu machen. Steht am Ende ein gelungenes Resultat, so ist der Zugewinn an Repertoire eher ein Nebeneffekt, wenngleich ein als überaus positiv anzusehender
Betrachtet man Carsten Wiebuschs (*1969) Bearbeitungen von Klavierwerken Claude Debussys für Orgel aus dieser Tradition, dann darf man durchaus berechtigt die Frage stellen, warum nicht schon früher die Stücke dieses wichtigen französischen Komponisten transkribiert worden sind. Die Kompositionen erscheinen in der Orgel wie originär verwurzelt. Nicht nur die kantablen Phrasen der choralhaften Linien, sondern auch die rezitativischen Motive einer instrumentalen Idiomatik gewinnen an Transparenz. Ohne das eine Instrument gegen das andere ausspielen zu wollen, wird ersichtlich, dass die schier unendliche Variationsbreite einer nuancierten Klanggebung beim Konzertflügel durch die technischen und klanglichen Optionen bei einer Konzertorgel noch einmal spektral erweitert werden kann.
Sicherlich tragen zu diesem günstigen Eindruck die Qualitäten der eingespielten Klais-Orgel der Karlsruher Christuskirche mit ihren 84 klingenden Registern bei. Diese beinhaltet zwei Schichten von Pfeifen, nämlich eine neobarocke von 1966 und eine symphonische von 2010, die über eine neue technische Anlage miteinander verbunden sind. Auch wenn eine intonatorische Angleichung des älteren Bestands an den jüngeren aufgrund denkmalpflegerischer Aspekte nicht stattgefunden hat, so dass beide eher kompromisslos ihren stilistischen Vorgaben folgen, macht es Wiebuschs Registrierung doch möglich, dass die notwendigerweise auftretenden Divergenzen im Klangbild marginal bleiben. Im Wissen um diese Problematik der Orgel muss man dem Organisten Respekt zollen: Die Kommunikation zwischen Interpret und Instrument ist gelungen. Vor dem inneren Auge entstehen Tongemälde, in denen sich eine Klangfarbenkunst widerspiegelt, wie sie Debussys Musik zueigen und wie sie mit der programmatischen Wahl entsprechender Titel für die Werke von diesem auch impliziert ist.
Besonders eindrucksvoll zeigt sich das in dem wohl orgelgemäßesten der hier vorgestellten Stücke, La cathédrale engloutie (Die versunkene Kathedrale), dem einzigen Satz aus dem Premier Livre des Preludes (1909-10): Schemenhaft nur sind die Konturen der Architektur zu erkennen, bis in mixturenhaften Akkorden über einem Orgelpunkt das gewaltige Bauwerk aus längst vergangener Zeit emporsteigt. Im Second Livre des Preludes (1910-12), das komplett eingespielt ist, flirren geisterhafte Gestalten in Les Fées sont dexquises danseuses (Die Feen sind ausgezeichnete Tänzerinnen) vorüber, reflektieren filigrane Figuren das schimmernde Licht auf der Terrasse des audiences du claire de lune (Terrasse der Mondschein-Audienzen) oder verliert sich die Erinnerung in den Konturen der Canope (Totenvasen). Und auch in den vier Sätzen der Suite bergamasque (1890) vollzieht die Orgel den Wechsel von Stimmungen in einer Leichtigkeit, die dem Charakter des der Komposition wohl zugrunde liegenden Gedichts von Paul Verlaine (184496) entspricht.
In den 77 Minuten Spielzeit bleiben am Ende wenig Wünsche offen, weder an das Instrument noch an den Interpreten: Beide zeigen sich wandlungsfähig-vielgestaltig und dienen im besten Sinne der Musik. Das zweisprachige Beiheft (deutsch/ englisch) beinhaltet eine umfangreichere Einführung der SWR-Redakteurin Kerstin Unseld, die Vita des Interpreten und Informationen über das Instrument mit Disposition.
Michael Gerhard Kaufmann