Eben, Petr

Konzert für Orgel und Orchester “Symphonia Gregoriana” (1954)

SACD

Verlag/Label: Oehms Classics, OC 643 (2010)
erschienen in: organ 2011/02 , Seite 56

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Wir schreiben das Jahr 1954: „Fortschritt“ ist die Parole der Komponisten, die Idee der seriellen Musik fasziniert. Während bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik Karlheinz Stockhausens Klavierstück V aufgeführt wird, beschäftigt sich Pierre Boulez mit seinem Marteau sans maître, und selbst der einer früheren Generation angehörige Igor Strawinsky wendet sich nun, mit seinem Ballett Agon, wenigs­tens der Dodekaphonie zu … Im gleichen Jahr findet in Prag die Uraufführung eines gerade entstandenen Werks statt, das im Vergleich zu alledem ästhetisch wie ein Relikt des 19. Jahrhunderts wirkt. Im gro­ßen Saal des Rudolfinums erklingt erstmals das Konzert für Orgel und Orchester Nr. 1 von Petr Eben, aufgeführt von den Prager Symphonikern unter der Leitung von Štepán Konícek mit Jiri Reinberger als Solist an der Saalorgel.
Bei diesem Werk des eben 25-Jährigen handelt es sich um eine Absolventenarbeit, mit der Eben sein Kompositionsstudium an der Prager Akademie der musischen Künste beendete. Es hat, in der kommunis­tisch regierten Tschechoslowakei, ideologische Gründe, dass Ebens Komposition etwas unzutreffend unter der neutralen Bezeichnung „Konzert“ an die Öffentlichkeit treten musste. Betitelt war es ursprünglich als „Symphonia Gregoriana“, weil sein Melodiegut dem Gregorianischen Choral entstammt oder ihm zumindest in Form gregorianischer Anmutungen nachempfunden ist. Die originäre Bezeichnung Ebens charakterisiert außerdem treffender die relativen Gewichte von Orches­ter- und Orgelpart. Denn in der Tat ist das nahezu einstündige viersätzige Werk nicht als Konzert angelegt, sondern als eine sinfonische Arbeit von Bruckner’schen Dimensionen. Im außerordentlich weit gespannten Kopfsatz greift Eben geradezu demonstrativ im Rahmen des Sonatensatzes auf ältere Formen der (Orgel-) Musiktradition zurück: Den zweiten Themenkomplex gestaltet er in der Exposition als Passacagalia, in der Reprise als Fuge.
Bei allem Reiz, den auch das spielfreudige Finale und der verinnerlichte „Adagio“-Satz beim Hören entwickeln: der originellste und am modernsten wirkende Satz ist das an zweiter Stelle stehende „Scherzo“, dessen gleichfalls gregorianische Motive Eben der Allerheiligen­litanei entnahm, aber so gekonnt zu rhythmisch akzentuierten Gestalten umwandelte, dass daraus eine Musik mit wechselnden metrischen Gruppen entstand.
Die Interpretation mit den vorzüglichen Bamberger Sinfonikern unter Gabriel Feltz, aufgezeichnet im Joseph-Keilberth-Saal der Konzerthalle Bamberg, fällt höchst opulent aus, wozu auch Gunther Rosts Gestaltung des Orgelparts an der viermanualigen, 74 Register umfassenden Konzertorgel beiträgt, die 1992/ 1993 durch die Firma Georg Jann errichtet wurde. Von äußerst zarten, fast impressionistischen Klangwirkungen reicht das Spektrum in ganz breit entfalteten Steigerungsprozessen bis hin zu geradezu pompös inszenierten Höhepunkten.
Gerhard Dietel