Braunfels, Walter
Konzert für Orgel, Knabenchor und Orchester und andere Welt-Ersteinspielungen
4 von 5 Pfeifen
Hört man die ersten Takte dieser CD, schaut man möglicherweise irritiert ins Booklet, ob man überhaupt die richtige Aufnahme erwischt hat: Der dramatisch-rasante Streichersturm des Anfangs bietet überdeutliche Reminiszenzen an das Vorspiel des ersten Akts von Wagners Walküre. Tatsächlich handelt es sich hier um das Konzert für Orgel, Knabenchor und Orchester op. 38 von Walter Braunfels, dessen kompositorisches uvre erst seit den 1990er Jahren wieder breitere Beachtung findet.
Dieses 1928 unter der Stabführung von Wilhelm Furtwängler und Günther Ramin im Leipziger Gewandhaus uraufgeführte Stück gilt als das Hauptwerk des damals sehr bekannten Komponisten, dessen Mutter Helene Spohr, eine Großnichte von Louis Spohr, mit Clara Schumann und Franz Liszt befreundet war. Braunfels stand mit zahlreichen bedeutenden Komponisten und Dirigenten seiner Zeit in Verbindung, die ihm ihren Respekt nicht versagten. Als Halbjude gebrandmarkt, fand sein öffentliches Schaffen eine jähe Unterbrechung: Er erhielt ab 1933 ein totales Aufführungsverbot. Aller Ämter, unter anderem vom Direktorat der Musikhochschule Köln, beraubt, zog er sich in die innere Emigration an den Bodensee zurück. Braunfels postromantische Tonsprache zeichnet sich u. a. durch eine stark durchchromatisierte, bis an die Grenzen der Tonalität getriebene Harmonik aus.
Die Aufzeichnung von Opus 38 hinterlässt einen wenig begeisternden Eindruck. Die Münchener Symphoniker dominieren das relativ dumpfe und uninspirierte Klangbild. Der sehr klar und sicher singende Tölzer Knabenchor gestaltet luzide die Choralmelodie Sei gegrüßet, Jungfraue als cantus firmus, wobei Iveta Apkalna mit der allzu farbarmen, wenig expressiven Steinmeyer-Orgel im Münchener Herkules-Saal kaum echte klangliche Kontrapunkte zu setzen vermag.
Um so viel mehr überzeugt, nein überwältigt die zwischen 1933 und 1942 entstandene Sonate für Orgel op. 43, die in der meisterlichen Wiedergabe durch Hansjörg Albrecht mit hinreißendem Impetus und außerordentlichem Reichtum an Klangfarben der Kleuker- und Mutin-Orgel in der Kieler St.-Nikolai-Kirche eine gültige Interpretation erfährt. Dieses wegen seines außerordentlichen Fantasiereichtums bemerkenswert die bezaubernde Kantilene im zweiten Satz und die abschließende B-A-C-H-Fuge und Formvollendung beachtliche Werk bietet eine echte Bereicherung für das Repertoire eines jeden technisch versierten Organisten. (Die Noten-Erstausgabe, hg. von Hansjörg Albrecht, ist im Herbst 2012 bei Ries & Erler erschienen).
Die Symphonischen Variationen op. 15 für Kinderchor und Orchester (hier in der Wiedergabe mit den Münchner Symphonikern unter Hansjörg Albrecht) verdienen nicht allein wegen der Fülle origineller Einfälle und der ironisch-heiteren Atmosphäre einen neuerlichen Einzug in die Konzertsäle.
Christian Ekowski