Béla Bartók

Klavierstücke aus Gyermekeknek und Mikrokosmos

bearbeitet für Orgel von Eberhard Hofmann

Verlag/Label: Carus 18.009
erschienen in: organ 2017/04 , Seite 61

Die großformatig angelegte Aus­gabe enthält hauptsächlich Orgelbearbeitungen zu Béla Bartóks frühem Klavierzyklus Gyermekeknek (Für Kinder) von 1908/09, in welchem der Komponist vielfach Melodien ungarischer Volkslieder verarbeitete – wobei zum damaligen habsburgischen Ungarn u. a. auch Teile von Rumänien, Kroatien oder der Slowakei gehörten. Demgegenüber stammen einige wenige Stücke aus dem bekannten pädagogisch an­gelegten Klavierzyklus Mikrokosmos, der in einer Zeitspanne von 1926 bis 1939 entstand und insgesamt 153 meist kürzere Klavierstücke umfasst.
Das Vorwort (dt./engl.) ist sehr informativ und weist darauf hin, dass Bartók seinen Zyklus Gyermekeknek 1945, also in seinem letzten Lebensjahr im amerikanischen Exil, nochmals überarbeitete und moderat an seine neuere Tonsprache angeglichen hat. In der Ausgabe wurden manche der Stücke in der früheren Version, andere in der späteren wiedergegeben. Allerdings vermisst man Vermerke, welche Stücke der früheren und welche der späteren Version angehören, was zumal im musikwissenschaftlichen Kontext in­teressant wäre.
Der Bearbeiter Eberhard Hofmann betont, dass mit dem originalen Notentext so behutsam wie möglich umgegangen wurde und dass Eingriffe nur bei Lagen vorgenommen wurden, die den Umfang der Orgeltastatur übersteigen, oder etwa zur adäquaten Darstellung des Klangpedals des Klaviers auf der Orgel. Aus diesem Grund wurden kurze Töne verlängert oder hin und wieder durch gehaltenen Töne im Pedal zusätzlich grundiert. Diese Zusätze erscheinen im Kleindruck „fakultativ“. Letztendlich macht dieses editorische Verfahren hier Sinn, denn diese bewusst sparsam-zurückhaltenden, nach außen kühl-intellektuell erscheinenden, auf jeden einzelnen Ton bedachten Kompositionen – in welchen aber eine tiefe Emotionalität und Sensibilität verborgen liegt – sind gleichsam reine Musik an sich. Würde man hier bei der Transkription Stellen modifizieren, wie dies bei der Transkription eines romantischen Orchesterwerks unerlässlich ist, so wäre es, als veränderte man etwa bei einem Contrapunctus aus Bachs Kunst der Fuge als Bearbeiter Stimmen.
Hofmann weist weiter darauf hin, dass einige der Stücke auch durchaus im Gottesdienst Verwendung finden könnten, wie das zauberhafte Adagio No. 14 aus dem Mikrokosmos mit seinen lang gehaltenen me­ditativen Klängen, gleichsam „subcommunione“. Auch No. 8 „Quasi Adagio“ oder No. 9 „Andante“ eignen sich durchaus für den litur­gischen Gebrauch. Rein welt­licher Na­tur sind dagegen Titel wie das „Schweinehirtenlied“ oder „Deftiger Scherz“ und „Trinklied“ etc. Da­neben besitzen manche der Stücke, rein musikalisch gesehen, durchaus eine sakrale Aura infolge der erweiterten diatonischen, jenseits des klas­sisch-romantischen Dur-Moll-Sys­tems angesiedelten Tonsprache, die neben Pentatonik gerade auch deutliche Elemente der kirchentonalen Modi verwendet – etwa No. 1 „Allegro“, das zwischen Dorisch und d-Moll changiert, oder No. 12 „Variatonen“, die im Niemandsland zwischen d-Moll, Dorisch und D-Dur vagabundieren.
Im Allgemeinen ist der Notentext übersichtlich gedruckt, wobei der hin und wieder allzu große Abstand zwischen den Akkoladen wenig lesefreundlich ist. Alle Stücke sind technisch recht einfach – im Gegensatz etwa zu Bornefelds Bartók-Bearbeitungen –, zumeist auf zwei Systemen manualiter notiert. Sie weisen zum Teil im Notentext keinen Unterschied zum Original auf, weshalb man dort auch nicht von Bearbeitungen im eigentlichen Sinne sprechen kann. Dass die Stü­cke rein technisch einfach gehalten sind, bedeutet aber nicht, dass sie vom musikalischen Aspekt her nicht eine intensive Beschäftigung vom Interpreten erfordern würden. Die Auswahl der Kompositionen ist zudem sehr abwechslungsreich, und es wird am Ende auch darauf verwiesen, welche Volkslieder ihnen zugrunde liegen. Bei manchen Kompositionen, wie bei No. 1 „Allegro“, wird man auf der Orgel gegenüber dem Anschlag auf dem Klavier
das prägnant-perkussive Element „Hammer auf Saite“ vermissen, das für Bartóks Musik oft so typisch ist; manche der Stücke werden dadurch weicher bzw. verschwommener.
Auch wenn Bartók explizit nicht für Orgel komponierte, lohnt es sich für Organisten, sich mit seiner Mu­sik zu beschäftigen. Und man vermisst diesen Komponisten heute zunehmend in der musikalischen Ausbildung. Zudem steht Bartók vom menschlich-künstlerischen Standpunkt aus betrachtet auch heute noch als Vorbild vor uns, hat er es doch immer vehement abgelehnt, Anbiederungsversuchen des faschis­­tischen Regimes aus rein karrieristischen Überlegungen nachzugeben. Anders als etwa seine Komponis­ten­kollegen Hans Pfitzner, Werner Egk oder Anton Webern – der in seinen Briefen an Josef Hueber offen für „Führer“ und NS-Staat schwärmte – zog es Bartók vor, verarmt im Exil von privaten Klavierstunden zu leben. Und er schrieb in dieser schweren Zeit sogar noch Werke von höchstem Rang, wie etwa das von Paul Sacher in Auftrag gegebene Divertimento für Streichorchester (1939).
Zusammenfassend eignet sich die Publikation unter bestimmten Vo­raussetzungen für Gottesdienst und Konzert und hervorragend aber für den Orgelunterricht: Hier finden sich auf kleins­tem Raum technisch leicht zu bewältigende, musikalisch wertvolle unkonventionelle Klangstücke. Eigene interpretatorische Ideen, Artikulation und Notenlesen sind hier vom Schüler gefragt – jedes Stück mit ganz konkreten musikalischen Aufgaben an den Lernenden und natürlich auch an den Pädagogen.

Eberhard Klotz