Weinberger, Jaromir

Kammer- und Orgelmusik

Verlag/Label: Deutschlandfunk / Gideon Boss Musikproduktion (2011)
erschienen in: organ 2011/04 , Seite 49

Bewertung: 4 Pfeifen

Das Schicksal manches Komponis­ten ist es, mit nur einem einzigen Werk im Gedächtnis der Nachwelt zu überleben. So verbindet sich der Name des in Prag geborenen Jaromir Weinberger (1896-1967) exklusiv mit seiner volkstümlichen Oper Schwan­da, der Dudelsackpfeifer, die nach ihrer Uraufführung im Prager Nationaltheater 1927 schnell internationale Verbreitung fand und den Namen ihres Komponisten bis in die USA bekannt machte, wohin der jüdischstämmige Musiker später, dem nationalsozialistischen Ras­sen­wahn weichend, emigrierte.
Die übrigen Opern und weiteren Kompositionen Weinbergers sind so gut wie vergessen. Dass sich Ausgrabungen bezüglich dieses wenig beachteten Œuvres lohnen, zeigt die vorliegende Doppel-CD, die sich je zur Hälfte der Kammer- und Orgelmusik Weinbergers widmet. Überrascht vernimmt der Hörer in den Sechs böhmischen Tänzen für Vio­line und Klavier neben Wendungen der tschechischen Volksmusik auch Einflüsse des jüdischen Synagogalgesangs. Noch origineller wirken die Zehn charakteristischen Soli für kleine Trommel mit Klavierbegleitung, in denen sich viel Spielerisch-Humoristisches findet, aber, den Zeitumständen des Jahres 1939 entsprechend, im „Trommler der Freiheit“ mit seinen Hymnen-Zitaten auch Politisches.
Bloße Namenskoinzidenz – keinerlei persönliche Verwandtschaft – ist es, wenn auf der zweiten CD dieser Edition Gerhard Weinberger an der 2001 errichteten dreimanualigen Rieger-Orgel der Paderborner Kirche St. Johannes Baptist Orgelkompositionen von Jaromir Weinberger interpretiert. Der tschechische Komponist war nach ersten Studien in seiner Heimat im Jahre 1915 ans Leipziger Konservatorium gewechselt, um seine Ausbildung bei Max Reger fortzusetzen. Auch wenn, durch Regers frühen Tod im Folgejahr bedingt, diese Lehrzeit nur kurz währte, so hat dessen Stilvorbild den­noch unübersehbare Spuren in den weit später entstandenen Präludien Jaromir Weinbergers hinterlassen.
Insgesamt ist Weinbergers Orgelmusik einem sanglichen Idiom verpflichtet; häufig erscheinen in ihr Solokantilenen vor zartem harmonischen Hintergrund. Das gilt für die drei Meditations von 1956, aber auch für einige der 1954 entstan­denen Dedications, in denen Weinberger fünf biblische Frauenporträts zeichnet. Hierbei wechselt er zum Zwecke der Charakterisierung die Stilebenen: Wird die Prophetin und Richterin Deborah in einem ganz diatonischen, dorisch gefärbten d-Moll-Grave porträtiert, so entwi­ckelt der „Miriam“-Satz zunehmend chromatische und polyphone Züge.
Ihre Abrundung erfährt die Einspielung durch Jaromir Weinbergers Vertonung des 150. Psalms in englischer Sprache für Sopran und Orgel. In einer für die Entstehungszeit 1940 bemerkenswert ungetrübten Diatonik ergeht sich diese Psalm-Komposition, welche der Sopranstimme Gelegenheit gibt, mit einem höchst melismenreichen Jubilus zu brillieren.
Gerhard Dietel