Jugendstil – Art Nouveau

Historical Organs and Composers, Vol. 5

Verlag/Label: Alba Records ABCD 327 (2011)
erschienen in: organ 2012/02 , Seite 54

3 von 5 Pfeifen

Wenn der finnische Organist Jan Lehtola, der 2005 über Oskar Merikanto „als Mittler europäischer Einflüsse“ promovierte und heute an der Sibelius-Akademie lehrt, von „Jugendstil“ spricht, hat er die nationalromantische Epoche seines Heimatlandes im Sinn. Begüterte Musikliebhaber beflügelten nach der Staatsgründung 1917 den heimischen Orgelbau. Die Orgel als Hausinstrument des kunstsinnigen Bildungsbürgertums im Goldenen Zeitalter der finnischen Kulturgeschichte – so ließe sich die vorliegende Dokumentation auch zutreffend betiteln. Sie erschließt damit überwiegend eine organistische terra incognita.
Vier kostbare kammermusikalische Instrumente porträtiert Lehtola mit der vorliegenden CD. Seine Klangreise beginnt an der pneumatischen Orgel der Berufsschule in der ehemaligen Provinz Kymi (Südfinnland), erbaut 1933 in der renommierten „Orgelfabrik“ Kangasala (9/I/P). Die pompöse Intrada, mit der Lehtola sein Recital eröffnet, komponierte Jean Sibelius 1925 anlässlich eines Besuchs des schwedischen Königspaars in Helsinki. Ein choralgetöntes Abendlied von Frans Linnavuori, weiland Dom­organist zu Tampere, leitet über zu Prelude und Intermezzo des früh verstorbenen Toivo Kuula, der in Italien studierte. Eine fantasievoll improvisierte Hommage à Sibelius beschließt diesen Konzertteil. Als Inspirationsquellen nennt Lehtola ein Thema des finnischen National­komponis­ten, den lichten Klang des Instruments (mit einem in Hausorgeln seltenen Oboe 8’-Register) und den Jugendstil-Charakter des Saals.
Danach geht’s ins ländliche Atelier des finnischen Bildhauers Emil Wikström in Visavuori. Heute Mu­seum, beherbergt es eine kürzlich mit EU-Mitteln restaurierte Orgel seines Bruders Karl Gustav (1905: 6/I/P). Ihr widmet Lehtola eine fein abgestimmte Hörprobe, unter anderem mit der Partita The Loveliness of that Summer von Solu Salonen, der bei Günter Raphael studierte, und einer Auswahl aus den hundert Choralvorspielen, die Oskar Merikanto, Vater der finnischen Orgelmusik, 1905 für den Gottesdienstgebrauch herausgab.
Weiter geht’s sodann nach Kalela, dem ehemaligen Atelier des Malers Aleksi Gallen-Kallela: ein Meister der Freilichtmalerei, der sich später mit den Malern der Dresdner „Brü­-cke“ verband. In den Wäldern bei Ruovesi schuf er sich ein Refugium, das auch ein (wohl um 1860 in Deutschland gebautes) Orgelpositiv beherbergte. Jahrzehntelang dem Verfall preisgegeben, feiert Lehtola seine Rettung nun mit einer Gedenkmusik, die Armas Maasolo 1926 zum Begräbnis des finnischen Lyrikers Eino Leino schrieb, und einer zweiten Sibelius-Improvisation.
Letzte Reisestation ist das Amos Anderson-Kunstmuseum in Helsinki mit einer Acht-Register-Orgel, 1925 von der Kangasala Orgelfabrik gebaut und 2009 fachgerecht restauriert. Orgelstücke von Sibelius und drei finnischen Komponis­ten der nachfolgenden Generation ergänzen sich zu einem gediegenen Charakterporträt des erhaltenswerten Instruments.

Lutz Lesle