Italienische Orgelmusik

Werke von Marco Enrico Bossi, Filippo Capocci, Eugenio Maria Fagiani und Pietro Morandi

Verlag/Label: Spektral SRl4-09050 (2009)
erschienen in: organ 2010/01 , Seite 60

Bewertung: 3 Pfeifen


Die Intention dieses italienischen Orgelmusik-Potpourris („insalata mista“) erschließt sich nicht auf den ersten Blick bzw. beim ersten Hö­ren. Geht es um einen chronologischen Überblick mit einer interessanten Komponistenauswahl? Geht es darum, dass sich nach ihrem „Goldenen Zeitalter“ vom 15. bis 18. Jahrhundert die Geschichte der italienischen Orgelmusik fortgesetzt hat? Geht es um den Organis­ten als Komponisten im Kontext der alles dominierenden italienischen Opernwelt? Geht es um eine interessante und seltene Orgel, ein glänzend gespieltes, schönes Instrument …?
Die drei charmanten Rokoko-Concerti Pietro Morandis, des ersten (und ältesten) auf diesem Tonträger vorgestellten Komponisten, bieten nicht nur etwas für Freunde langer Tonika-, (Sub-) Dominantphasen und doppelt quadrierter Kadenzen bei den Quartsextakkorden. Pure, das Ohr schmeichelnde Orgelempfindsamkeit mit Kulminationen von Mozart-Seufzern, die es wohl schon vor und ohne Mozart gab.
Interpret und Komponist – Euge­nio Maria Fagiani (*1972) steht in einer guten Kirchenmusikertradi­tion: Interpretation, Improvisa­tion und Komposition sind gut vertreten. Die auf der CD enthaltenen vier der 9 Jazzy Chorale Preludes op. 44 scheinen allerdings weniger einer lebendigen italienischen Orgelmusiktradition zu huldigen, vielmehr wirken sie wie eine Art Globalisierung der Orgelmusik unter Bezug auf (sehr schöne) angloamerikanische Melodien. Diesen Ansatz kennt man auch von anderen. Jazzig? Klanglich erinnern drei der kurzen Stücke immer wieder an den Drehorgelspieler aus vergangenen Kindertagen – wobei aber leider das kleine angebundene Äffchen fehlt, das Miniaturbecken aufeinanderschlägt und im Takt Saldos rückwärts ausführt … Fagianis Vorliebe für schwebenden französischen Or­gelimpressionismus à la Louis Vierne oder Jacques Roux ist offensichtlich. Erst im vierten Auswahlstück geht es dann beschwingter, jazzig, zur Sache.
Als wichtige Beispiele der eigent­lichen italienischen Orgelromantik hat Fagiani die Cinque Pezzi Originali von Fillipo Cabocci und zwei umfangreichere Stücke von Bossi eingespielt. Doch gelingt es ihm nicht, den für die italienische Reformbewegung der Kirchenmusik so wichtigen Bossi aus dem „Schatten des reputablen Orgelvirtuosen“ zu holen, dessen „Musik eine etwas anspruchslose, limitierte, fast zu einfache Welt, diejenigen in die er geboren wurde und in der er zeitlebens Zuflucht gesucht hatte“ (E. & A. Brandazza) ist. Warum schließt eigentlich eine CD mit Bossis zehnminütigem Trauerzug op. 132,2 …?
Fazit: Fagiani ist fraglos ein glänzender Spieler, die romantische Locatelli-Orgel von Mapello klingt beeindruckend französisch, Bossis Orgelmusik hinterlässt den einen oder anderen ratlosen Hörer – und über die cäcilianische Bewegung in Italien und ihre Gegenbestrebungen bleibt wenig bekannt.

Johannes Ring