Girolamo Cavazzoni

Intavolatura cioe Ricercari, Canzoni, Himni, Magnificati Libro Primo für Orgel (Cembalo), Venedig 1543

hg. von Jolando Scarpa

Verlag/Label: Edition Walhall EW1251
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2023/04 , Seite 58

Von dem vermutlich in Urbino oder Rom (wo sein Vater Marco Antonio im Gefolge des Humanisten Kardinal Pietro Bembo als Musiker tätig war) geborenen Girolamo Cavazzoni (1525–157?) sind weder der Ausbildungsweg noch die ersten Arbeitsverhältnisse bekannt. Erst 1565 wird er beim Bau der Graziado Antegnati-Orgel für den Herzogspalast in Mantua erwähnt, wo er als Organist angestellt war. Die Disposition und die Manualumfänge dieses mit Cavazzoni engstens verbundenen und erhaltenen Instruments hätten unbedingt im Vorwort mitgeteilt werden müssen: Neben dem in Einzelchöre aufgeteilten Ripieno enthält das Werk ein flauto in VIII und ein flauto in XII. Wichtiger aber noch ist die Anlage von gedoppelten Semitonien, die aber überraschenderweise für die Werke des I. Bandes kaum relevant sind; der Tonartengebrauch orientiert sich eng an den Tonarten, die in einer reinen Mitteltönigkeit verwendbar sind. Für den Sohn des berühmten Orgelbauers, Costanzo Antegnati, wurde Cavazzoni zum musikalischen Mentor. In einer in Cremona erstellten Rankingliste der bestbezahlten Organisten aus dem Jahr 1577 erscheint Cavazzoni mit einem Jahresgehalt von 80 scudi ganz oben.
Jolando Scarpa hat von den beiden dem Kardinal Pietro Bembo gewidmeten Drucken Cavazzonis den ersten in Venedig 1543 erschienenen und nun in Bologna aufbewahrten Band mit einem ausgesprochen übersichtlichen Notenbild neu editiert. Diese Sammlung enthält vier relativ umfangreiche Kompositionen der von Cavazzoni offenbar sehr geschätzten Gattung des polyphon gearbeiteten „recercar“, zwei französische Canzonen, vier Hymnen und zwei vollständige Magnificat-Zyklen für den Alternatim-Gebrauch. Sowohl bei den Hymnen als auch bei den Magnificat-Versetten wird die gregorianische Vorlage zumeist nur für das fugierte Soggetto verwendet. Besonders bei den im motettischen Stil beginnenden Hymnen sorgen dann bald ausnotierte Diminutionen und umspielendes Laufwerk für einen gemäßigt virtuosen Anspruch. Die Canzon sopra „il e bel e bon“ nach der Vorlage des bekannten Madrigals von Passereau ist für den Gebrauch im kirchlichen Kontext etwa auf das halbe Grundtempo verlangsamt worden; der c2 nicht überschreitende Ambitus legt eine Registrierung mit dem flauto in VIII nahe.
Mit dieser Neuausgabe erweitert Scarpa dankenswerterweise das Repertoire nicht nur für die zahlreichen in Italien noch erhaltenen Denkmalorgeln des Cinquecento, sondern auch für besaitete Tasteninstrumente.

Josef Miltschitzky