Rübsam, Wolfgang

In dulci jubilo

10 Choralbearbeitungen zur Advents- und Weihnachtszeit

Verlag/Label: Schott Music ED 21189 (2011)
erschienen in: organ 2011/04 , Seite 54

Wolfgang Rübsam, der durch eine Fülle viel beachteter und zum Teil hochdekorierter Schallplatten- und CD-Einspielungen hervorgetreten ist sowie als weltweit renommierter Konzertorganist und als gefragter Pä­dagoge in den USA (bis Sommer 2010 u. a. an der Hochschule für Musik Saar in Saarbrücken) wirkt, tritt mit dieser Sammlung erstmalig auch als Komponist an die Öffentlichkeit. Rechtzeitig zur Weihnachtszeit präsentiert der Verlag Schott Music unter dem Titel In dulci jubilo „10 Choralbearbeitungen zur Advents- und Weihnachtszeit“. Es handelt sich durchweg um (kontrapunktisch) gekonnt gearbeitete Miniaturen, die sich stilistisch an unterschiedlichen Vorbildern orientieren.
Freilich ist das große Vorbild des Leipziger Thomaskantors für den erfolgreichen Bach-Interpreten Rüb­sam ebenso präsent wie manche As­pekte des kompositorischen Werks (Choralvorspiele) seines Frankfurter Lehrmeisters und einstigen deutschen „Bach-Papstes“ Helmut Walcha oder gewisse französische Impulse (Noëls, Toccaten), die ihm
etwa während seiner Pariser Stu­dienzeit bei Marie-Claire Alain vermittelt wurden. Zu Beginn der Sammlung zeigt sich bei „Nun komm, der Heiden Heiland“ mo­tivische Feinarbeit in dem einen
Tenor-Cantus-firmus begleitenden Stimmengeflecht – eine herbe, mithin noch spürbar „adventlich“ gestimmte Tonsprache.
Klangsinnlich-süffig geriert sich hingegen „O komm, o komm, Emmanuel“ mit Quintkanon im Pedal oder „Vom Himmel hoch“ mit apart verfremdeter Melodieführung.
Manche Stücke lehnen sich sichtlich an (deutsche) spätbarocke Vorbilder an („In dulci jubilo“), aber auch an volkstümliche altfranzösische Formen („Gelobet seist du, Jesu Christ“).
Wiegende, pastoral anmutende Satztechniken („Wie soll ich dich empfangen“) stehen neben Fanfarenartigem, wie beim ersten Teil des kleinen Triptychons zu „O Heiland, reiß die Himmel auf“, das außerdem ein an die Gemeindebegleitpraxis im lutherischen Gottesdienst des 18. Jahrhunderts erinnerndes Choralzeilen-Zwischenspiel „à la BWV 722“ aufweist, während der dritte, toccatenhafte Teil wieder eher an französische Vorbilder des 20. Jahrhunderts denken lässt. Der vollgriffige Satz mit raffiniert „verstecktem“ Alt-Cantus-Firmus, der sich dem Choraltrio zu „Macht hoch die Tür“ anschließt, könnte für eine geübte Gemeinde gar als kunstvoller Begleitsatz dienen. Sehr apart und bewusst alle Süßlichkeit meidend kommt die Bearbeitung zu „Es ist ein Ros’ entsprungen“ daher, mit einem sich über dem Bassthema und seinen harmonischen Terzrückungen erhebenden Pastoralduktus, hier wieder eher an die weihnachtliche Mystik ernsterer (deutscher) Vorbilder angelehnt.
Insgesamt bleibt als ein durchweg positives Fazit zu ziehen, dass trotz erkennbarer stilistischer Nähe zu diversen gängigen (barocken) Mus­tern der traditionellen Orgel­choral­behandlung jedes einzelne der hier vorgelegten Opuscula Rübsams in sich konsequent und absolut stimmig durchgestaltet ist. Diese überaus stimmungsvollen Choralvorspiele zur Advents- und Weihnachtszeit eignen sich daher nicht nur für die Interpretation in Liturgie und Konzert, sondern dürften sich hervorragend auch als anschauliches Lehrmaterial für den Improvisationsunterricht empfehlen. Bleibt am Schluss daher nur zu hoffen, dass sich Komponist und Verlag möglichst rasch zu einer Fortsetzung („Choralbearbeitungen zu Passion und Ostern“ etc.) entschließen.
Christian von Blohn