András Gábor Virágh

Impromptu für Orgel

Verlag/Label: Ostinato OS12.032
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2020/04 , Seite 61

Der 1984 in Budapest geborene Organist und Komponist András Gábor Virágh erhielt seinen ersten Unterricht bei seinem Großvater und Vater. 2010 wurde er als Hauptorganist an die Basilika St. Stephan in Budapest in der Nachfolge seines Lehrers István Koloss berufen. Er gewann mehrere Orgel- und Kompositionswettbewerbe.
Warum wählt ein Komponist den Titel Impromptu? Normalerweise ist diese Gattung nur als romantische Klaviermusik bekannt: Als kleines, aber doch anspruchsvolles Intermezzo hatte es dort zweifellos seinen Höhepunkt. Bei einem Blick auf den Notentext erkennt man die pianistische Tradi­tion in romantischen Oktaven, dem zügigen Tempo oder den vielen Artikulationen. Ein Impromptu ist stets kurz: Das vorliegende besteht nur aus acht Seiten. Das Tempo ist mit „Allegro“ überschrieben.
Im Staccato erklingen Tonrepetitionen. Trillerketten und Läufe sind virtuoser romantischer Orgelmusik entlehnt. Taktwechsel und rhythmische Finessen erzeugen von Anfang an eine große Spannung. Die ruhigeren Teile sind meditativ sanft zu registrieren, behalten aber zumeist das Repetitionsmotiv. Triller und Wechselnoten. Zwar bewegt sich die Musik in einem freitonalen Charakter mit einem Fokus auf Virtuosität, dennoch behält sie ihren instrumentalen und konzertmäßigen Duktus bei.
Insgesamt ist zu bemerken, dass die Musik sehr ausdrucksstark gestaltet ist. Dabei bleibt sie stets direkt und klar erfahrbar, sowohl für den Spieler als auch für den Hörer. Man bemerkt, dass der Komponist auch Organist ist. Es ergibt sich eine starke Verbindung zwischen ungarischer Virtuosität, individuellem Tonsatz und virtuoser Direktheit. Die Tonsprache ist als erweiterte Tonalität zu bezeichnen, die ganz in der Tradition ungarischer Moderne freitonale und jazzartige Harmonien mit Dur und Moll kombiniert.
Zwar kann man natürlich nicht davon sprechen, dass eine eigenständig freie Musik wie bei Olivier Messiaen oder Zsigmond Szathmáry geschaffen wird. Dafür sind die Form Impromptu sowie der Tonsatz doch zu sehr im Gebräuchlichen zuhause. Dennoch zeigt die Musik keineswegs eine naive Übernahme von simpler Tonalität, sondern prägt selbstbewusst tonsprachliche Elemente eigener Wahl und eigener Schattierung aus.
Die Registrierangaben sind plausibel und machbar, was bei zeitgenössischer Orgelmusik nicht selbstverständlich ist. Obwohl die Virtuosität der Musik höchste Ansprüche an den Interpreten stellt, lässt sich das Notenbild gut und klar lesen. Dieses Impromptu mag ein Höhepunkt in einem Konzert oder eine Zugabe sein. Das Material der Notenausgabe besteht aus gutem Werkdruckpapier, während der mit einem Orgelspieltisch bedruckte Umschlag etwas lieblos gestaltet ist. Leider ist die Notenausgabe nicht im Notenformat, sondern auf kleinerem DIN A4, was für die Haptik und Lesbarkeit ein paar Einschränkungen mit sich bringt. Herauszustellen ist die Komposition: ein schönes kürzeres Virtuosenstück auf hohem Niveau.

Dominik Susteck