Haßler, Hans Leo

Ich gieng einmal spatieren

Tastenmusik von Hans Leo Haßler (1546–1612)

Verlag/Label: Querstand VKJK 1521 (2015)
erschienen in: organ 2016/01 , Seite 55

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Wem der Name Hans Leo Haßlers (1546–1612) heute überhaupt noch geläufig ist, dem wird dieser vornehmlich als Komponist von Chorliteratur begegnet sein. Haßlers kurze und prägnante Sätze zu Kirchenliedern und Volksweisen waren in der Vergangenheit in allen Kantoreien hierzulande als liturgisches Standardrepertoire omnipräsent; seine Messen gehörten gleichfalls zum Standardrepertoire mancher Ensembles. Haßlers kompositorisches Œuvre steht an der stilistischen Schwelle der späten Renaissance-Polyphonie zur venezianisch-frühbarocken Klang­entfaltung bzw. (in seinen Liedsätzen) zu schlichter, liedhafter Homophonie. Während die Messen und Motetten meist noch dem kontrapunktisch-imitatorischen Prinzip Orlando di Lassos oder Leonhard Lechners verpflichtet sind, entfalten seine mehrchörigen Werke, wie beispielsweise die 15-stimmige Motette Jubilate Deo oder sein 16-stimmiges Duo Seraphim, frühbarocke Klangpracht nach dem Vorbild der venezianischen Meister.
Dass Haßler, Schüler von Leonard Lechner und des Venezianers Andrea Gabrieli – und somit Tradent der affektgeladenen polyphonen Vokalmusik italienischer Provenienz – als Zeitzeuge jener musikalisch hochgradig aufregenden Epoche des Stilwechsels „daneben“ auch Tastenmusik schrieb, mag vielleicht verwundern. 1585 wurde er in Augsburg jedoch bereits Kammerorganist des Grafen Oktavian II. von Fugger sowie Organist an St. Moritz. Und ab 1608 war er Kammerorganist des in Dresden residierenden Kurfürsten Christian II. von Sachsen. Haßlers Werke für Tasteninstrumente fanden bedauerlicherweise nicht oft den Weg ins Konzert. Dabei präsentieren sich die auf dieser CD vorgestellten Werke als durchaus konkurrenz­fähig mit den bekannteren Orgelkompositionen Gabrielis, sind diesen, was Einfallsreichtum und Beherrschung der Form anbelangt, zum Teil sogar qualitativ überlegen.
Jan Katzschke beginnt mit Haßlers Opus magnum: dem umfangreichen Variationszyklus über das Lied Ich gieng einmal spatieren. Die Melodievorlage ist bis heute als beliebtes geistliches Lied Von Gott will ich nicht lassen in Gebrauch. Schon bei dieser Aufnahme geriert sich der Interpret als Kenner dieser Musik mit seiner erfrischend deklamatorischen Artikulationsart, die durch Profilierung des Tonanfangs auf äu­ßerste Klarheit setzt; „weiche“ Klänge erzielt der Künstler dagegen durch Arpeggien, die an die im 16. Und 17. Jahrhundert so beliebte Lautenmusik erinnern. Durch diese durch Artikulationsformen erzeugte Farbigkeit auf einem Cembalo, dem Nachbau eines Instruments um 1700 (a’ = 440 Hertz!), wird der Zyklus zu einem beredten „Sprachereignis“. Unterstützt wird der aparte Klang durch die mitteltönige Stimmung, die zusätzlich einen besonderen Reiz – vor allem in den chromatischen Passagen – bietet. Daneben verfügt Katzschke über die gebotene spielerische Virtuosität, die bei dieser Literatur unabdingbar ist. Es wird einmal mehr klar, welch hoher Standard seinerseits von Tas­tenvirtuosen abverlangt wurde (dass die Musik dem 16./17. Jahrhundert entstammt, heißt ja keineswegs, dass die Figurationen einfach auszuführen wären!) sowie über genügend Spielwitz, was sich besonders in den dialogischen Strukturen bemerkbar macht. Einziger Wermutstropfen in dieser Einspielung ist das vor allen in Kadenzen auftretende allzu manierierte Staccato, das den Einschwingungsvorgang einer Saite wenig berücksichtigt und daher etwas zu grob und kurz angerissen klingt.
Die folgenden Stücke Canzon in d und Ricercar del secondo tono liefern eher traditionelles Repertoire. Ungewöhnlich für moderne Ohren ist hingegen die Darstellung auf einem Bibelregal, das wie ein Ensemble klingt, nicht wie ein singuläres Tasteninstrument, jedoch ohne Differenzierungsmöglichkeiten in den Stimmen, weshalb der Klang den Zuhörer zum angestrengt-konzentrierten Zuhören zwingt. In dieser klaren Klanggebung sind die polyphonen Strukturen von einer überraschenden Klarheit, so dass behauptet werden mag, dass sich die Ästhetik des Kontrapunkts als eine Entdeckung von Beziehungen im Klang manifes­tiert.
Als letztes Werk wurde das Magnificat quarti toni auf der Zuberbier-Orgel von 1754 zu Dudensen eingespielt – es ist die „schwächste“ Komposition auf dieser CD, auch wegen ihrer klanglichen Kargheit. Wenngleich das Instrument ebenfalls mitteltönig eingestimmt ist und somit den klanglichen Vorstellungen der Haßler-Zeit in diesem Punkt entgegenkommt, handelt es sich bei diesem Zyklus um liturgische Gebrauchsmusik, welche den kontrastreichen Lobgesang Mariens musikalisch kaum adäquat wiederzugeben vermag. Dies hängt auch damit zusammen, dass die Aufnahme tontechnisch einen recht „kammermusikalischen“ Eindruck vermittelt, trotz des Bemühens des Interpreten um Farbigkeit in den Registrierungen, die sich sinnreich am Text orientieren.
Trotz der zuletzt genannten Einschränkungen mag diese CD empfohlen sein für alle, die sich mit einer anderen, für die Konzertpraxis weitgehend noch unerschlossenen Seite von Hans Leo Haßler beschäftigen wollen, und für alle geneigten Liebhaber der so genannten „alten Musik“. Das aufwändig gestaltete, mit diversen Abbildungen versehene Booklet liefert informative Hinweise (D/E) zum Komponisten und seinen Werken sowie über den Interpreten und das eingespielte Instrumentarium.

Volker Ellenberger