Ian Tracey an der Klais-Orgel der Abtei Himmerod

Werke (und Transkriptionen) von G. F. Händel, J. S. Bach, John Stanley, W. A. Mozart, George Thalben-Ball, Paul Hindemith, Oskar Lindberg, William Mathias, Flor Peeters und Pierre Du Mage

Verlag/Label: IFO classics, IFO 00 177 (2012)
erschienen in: organ 2012/04 , Seite 54

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Ian Tracey, der 1989 jüngster Kathedralorganist Englands wurde, ist der Orgelwelt als Virtuose seines Instruments sattsam bekannt. Seine musikalische Karriere ist seither eng mit der Anglikanischen Kathedrale in Liverpool und der größten Kirchenorgel des Landes verbunden. Nun trifft Tracey zum fünfzigjährigen Orgeljubiläum auf die 1962 erbaute – und 2006 renovierte – neobarocke bzw. in manchen Facetten auch neoromantische Klais-Orgel in der Zisterzienser-Abtei Himmerod in der Vulkaneifel. Vielleicht lag dies insofern nicht ganz fern, als schon seit 1976 der mittlerweile verstorbene anglikanische Theologe Reverend John L. Birley als langjähriger Organist dieser Abtei wirkte.
Gemessen am Qualitätsanspruch reicht dieses viermanualige Instrument an andere herausragende und orgelgeschichtlich bedeutende Prototypen des Neobarock fraglos he­ran, wie evangelischerseits beispielsweise an das ebenfalls viermanualige Werk in der Johanneskirche Düsseldorf (Rudolf von Beckerath, 1958). Gleichzeitig markiert die Orgel in Himmerod aber bereits einen Wendepunkt hin zu „neoromantischen Tendenzen“ (H. J. Busch) im Nachkriegs-Orgelbau der Werkstatt Johannes Klais Orgelbau (Bonn).
Zu dieser farbenreichen stilistischen Polyvalenz passt ein stilis­tisch heterogenes Programm, das hier mit barocken Werken beginnt: einer Orgeltranskription der Ouvertüre aus dem selten aufgeführten, nur durch den Schlusschor (der als heimliche Nationalhymne Großbritanniens populär ist) bekannten Occasional Oratorio von Händel; außerdem sattsam bekannte Werke von Bach (Pièce d’Orgue) und Mozart (Fantasie f-Moll KV 608), dazwischen John Stanleys Voluntary in d, zum Schluss als „bonus track“ noch Pierre Du Mages Grand Jeu.
Zur anderen Hälfte enthält das CD-Programm bunt gemischte, teils symphonische Orgelliteratur aus Romantik und (gemäßigter) Moderne: die diskografisch bereits sehr gut dokumentierte 1. Sonate (1937) von Paul Hindemith, aber auch Raritäten wie die mir bisher verborgen gebliebene Elegie (1944) des gebürtigen Australiers Sir George Thalben-Ball, der neoromantische Gamal fäbodpsalm von Oskar Lindberg, Postlude von William Mathias und Variations on an Original Theme (op. 58) von Flor Peeters.
Leider klingt am Ende doch vieles irgendwie ähnlich – und manches scheint dem unbändigen Temperament des Interpreten, der da­raus resultierenden unbedenklich-freudigen Verwendung neobarocker Klangkronen und der sehr robusten Tempowahl zum Opfer zu fallen. Dazu kommt die aus seiner Liverpooler Herkunft vielleicht allzu vertraute kathedralhafte Akustik, die Tracey hier als ein mögliches Interpretationshemmnis offenbar nicht zur Kenntnis zu nehmen scheint. Um diese orgelgeschichtlich doch so bedeutende Klais-Orgel in Himme­rod repräsentativ zu würdigen, hätte ich mir einen noch differenzierteren Umgang mit dem Instrument und seinen zahlreichen, hier teils noch ungenutzt bleibenden Klangressourcen gewünscht. Trotzdem: ein inte­ressantes und abwechslungsreiches – zum Teil höchst virtuoses – Klangdokument, das unbedingt in den organophilen CD-Schrank gehört!

Torsten Laux