Hymnes

Orgelwerke von Thierry Escaich, Pierre Farago, Benoît Mernier, Vincent Paulet und Jean-Baptiste Robin

Verlag/Label: SACD, Aeolus AE-11101 (2015)
erschienen in: organ 2016/02 , Seite 58

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Auf die Idee muss man kommen: Da begeht die Stadt Reims den 800. Jahrestag der Grundsteinlegung eben jener weltbekannten gotischen Kathedrale, in der nicht weniger als dreißig französische Könige in Amt und Würden eingesetzt wurden – und das soll gebührend gefeiert werden, natürlich auch musikalisch! Langsam reift bei den Verantwortlichen die Idee, rund um den berühmtesten musikalischen Sohn der Stadt, Nicolas de Grigny (1672–1703) ein ambitioniertes Projekt zu initiieren: Kompositionsaufträge an renommierte französische Organis­ten zu erteilen, sich ganz frei und unorthodox dem Œuvre de Grignys, der von 1696 bis zu seinem frühen Tod 1703 als Titulaire der Kathedrale seiner Heimatstadt wirkte, anzunähern. Diese nicht minder originelle wie kühne Idee einer „Hommage à Nicolas de Grigny“ wurde schließlich Realität und in Form einer Doppel-CD dokumentiert.
Die 1937/38 von Victor Gonzalez im Stil des Orgue néoclassique erbaute, derzeit eher desolate Hauptorgel (86/IV/P) von Notre-Dame de Reims kam als instrumentaler Partner für dieses Projekt leider nicht in Frage – wohl aber das neue Werk in der imposanten frühgotischen Basilika der ehemaligen Abtei Saint-Remi, seit 1991 UNESCO-Weltkulturerbe. Dort befindet sich seit 2000 ein exquisites und mit 46 Registern (darunter eine Transmission und zwei Chamade-Register) opulentes und klanglich brillantes „klassisches“ Werk (Schwalbennest) aus der Werkstatt von Bertrand Cattiaux (Liourdres, Frankreich). Die Klangressourcen dieses Instruments loten die fünf Komponisten ihrerseits weidlich aus, wobei drei von ihnen zugleich als ihre eigenen Interpreten agieren: Jean-Baptiste Robin (*1976), Benoit Mernier (*1964) und Pierre Farago (*1969). Vincent Paulets (*1962) De Grigny-Reflexionen werden vom amtierenden Titularorganisten an Notre-Dame de Paris, Olivier Latry, dargeboten und jene von Thierry Escaich (*1965) von Latrys (neuem) Kollegen Vincent Dubois.
Fünf Komponisten deshalb, weil das Fundament des Projekts in den fünf Hymnen de Grignys über gregorianische Themen wurzelt: Ave maris stella, Veni creator, Pange lingua, A solis ortus und Verbum supernum. Das Ergebnis fällt erfrischend vielfarbig und kontrastreich aus. Paulet entwickelt in seiner Hymne packend-perkussive Klangattacken, Robin entführt mit Veni creator in himmlische Sphären, Mernier integriert den originalen de Grigny unmittelbar in sein eigenes Stück, setzt das Alte direkt in Kontrast zum Ergebnis seiner kompositorischen Arbeit, kommentiert und umspielt das Pange lingua sozusagen. Stille, ja fast schon farbabstinente, „weiße“ Töne findet Farago für A solis ortus, während die Evocation IV von Escaich einmal mehr den glanzvollen Virtuosen-Stil präsentiert, der dem Komponisten bekanntlich eigen ist.
Das Booklet informiert in aller Ausführlichkeit über die Entstehung des De Grigny-Projekts, die Musik und die Interpreten. Und auch die Aufnahmequalität ist vom Feinsten. Alles klingt absolut präsent, gleichzeitig überträgt sich ganz viel Atmosphäre – als säße man direkt im Hauptschiff der Basilika.

Christoph Schulte im Walde