Helga Schauerte an der Winterhalter-Orgel Basilika Ulm-Wiblingen

Werke von J. S. Bach, Alexandre Guilmant, César Franck, Fernand de la Tombelle, Maurice Blazy, Louis Vierne, Amédée Reuchsel, Gaston Bélier, Mélanie Bonis

Verlag/Label: Syrius SYR141503 (2023)
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2023/04 , Seite 63

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Die 1783 vollendete Kirche des damaligen Benediktinerklosters Wiblingen, im Süden von Ulm gelegen, besaß lange Jahre nur unzureichende Chororgeln. Erst in jüngster Vergangenheit erhielt die heute als katholische Pfarrkirche genutzte Basilika endlich, wie lange geplant, eine auf der Empore postierte Haupt­orgel. Das an Pfingsten 2021 eingeweihte Instrument wurde von der Firma Claudius Winterhalter errichtet und fügt sich in seiner äußeren Erscheinung stilistisch wie farblich perfekt in die Umgebung des klassizistischen Kirchenraums ein. Diese Winterhalter-Orgel besitzt 45 klingende, auf drei Manuale und Pedal verteilte Register, dazu erweiternd sechs Transmissionen und drei Extensionen.
In seiner Disposition verweist das Instrument auf die spätbarocke Tradition des oberschwäbischen Orgelbaus eines Johann Nepomuk Holzhey oder Joseph Gabler, erweitert sie jedoch um historisch spätere, der Romantik angehörende Stimmen und neuzeitliche technische Errungenschaften wie eine Setzeranlage. Die Orgel verfügt über eine reichhaltige Palette an Grundstimmen, darunter einen 32’-Bourdon im Pedal, und neben einem kräftigen Prinzipalchor auch über zahlreiche charakteristische Soloregister.
Die vielfältigen Klangmöglichkeiten dieses Instruments erschließt die deutsch-französische Organistin und Orgelmusik-Expertin Helga Schauerte, die heute an der deutsch-evangelischen Christus-Kirche in Paris tätig ist. Ihr Programm stellt von ihr für die Orgel eingerichteten, sonst meist auf besaiteten Tas­ten­instrumenten gespielten Kompo­sitionen J. S. Bachs einige Werke französischer Provenienz gegenüber, darunter zwei Stücke der Komponistin Mélanie Bonis (1858–1937). Die Brücke zwischen den beiden Musikkulturen bilden Bach-Bearbeitungen aus französischer Hand: diejenige der Sinfonia der Kantate BWV 29 durch Alexandre Guilmant sowie Louis Viernes Arrangement des „Siciliano“ aus der Flötensonate BWV 1031.
In wuchtigem Plenum lässt Helga Schauerte eine Toccata von Fernand de la Tombelle und das Finale aus Guilmants erster Orgelsonate erklingen, führt aber auch in zahlreichen lyrisch gehaltenen Kompositionen die Farbenvielfalt der neuen Wiblinger Orgel vor. Im Cantabile von Amédée Reuchsel vernimmt der Hörer die schwebenden 8’-Register Bifara und Unda maris im Wechsel, im hier erstmals eingespielten Allegretto von Maurice Blazy die Trompette harmonique und in der Pastorale von Melanie Bonis die Clarinet douce des Positivs. Überaus zarte Lontano-Wirkungen erzielt Helga Schauerte in einer „Echo“-Komposition de Tombelles mittels der Vox humana des Schwellwerks. Eine besondere Eigentümlichkeit der neuen Wiblinger Orgel ist die horizontal positionierte Kavalflöte: Sie darf ihren pastoralen Klang in Louis Viernes Arabesque op. 31/15 entfalten.

Gerhard Dietel