Peter Planyavsky

Greifbares und Ungreifbares

Ausgewählte Aufsätze, Vorträge und Reden, hg. Manfred Novak

Verlag/Label: Are, Bochum 2022, 220 Seiten, 24 Euro
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2022/03 , Seite 58

Den treffenden Titel dieser Sammlung von Texten aus fünfzig Jahren, die zum 75. Geburtstag des ehemaligen Wiener Stephansdom-Organisten und Hochschullehrers Peter Planyavskys erschien, könnte man auch variieren: Be-Greifbares und Unbegreifliches. In allen Beiträgen kommt der sprachgewandte Autor ohne Umschweife, dennoch immer verständlich, nachdenklich und auch nachdrücklich zum jeweiligen Sujet, und sei dieses auch ein heißes Eisen. So legen Planyavkys Ausführungen zur Rolle des Komponisten Franz Schmidt in der Zeit des Nationalsozialismus dem Leser nahe, die eigene Position gegenüber anderen, vermeintlich unumstrittenen Akteuren jener Jahre zu hinterfragen.
Generell besticht – neben den fundierten fachlichen Erkenntnissen zu Orgelpädagogik, Orgelbau und Liturgie – der zeitgeschicht­liche Durchblick des so vielfältig aktiven Jubilars. Selbst in Festreden auf Außenstehende naturgemäß weniger vertraute Persönlichkeiten bündelt Planyavsky mühelos Kirchen- und Musikgeschichte, Theorie und Praxis anhand konkreter Beispiele einprägsam und im bes­ten Sinne unterhaltend. In seiner Betrachtung über Anton Bruckners Qualitäten als Improvisator bietet er Kriterien an, die eine realistische Einschätzung des Genies aus St. Florian im Kontext der damaligen Orgelszene erleichtern.
Ohne sentimentalen Ballast und ohne Firnis der Verklärung kommt auch die Er­innerung nicht zu kurz, so in den „Memoiren“ zu einem der wohl profiliertesten Orgellehrer des 20. Jahrhunderts mit dem schlichten Titel „Bei Anton Heiller“. Schließlich scheut sich Planyavsky nicht, schwierige, ja widersprüchliche (eigene) Wahrnehmungsströme in der aktuellen Kirchenmusik beim Namen zu nennen, so in der „düster-verheißungsvollen Prognose“ am Ende seines 2016 erstveröffentlichten Aufsatzes „Zwischen Gregorianik und Songcontest“: „Vielleicht wird der ‚normale‘ Sonntagsgottesdienst bald von selbst zu einem singulären Sonderevent – dann nämlich, wenn es nur noch diese eine Messe pro Woche gibt …“ – Bei allen Spitzen und Pointen bleibt der Verfasser stehts fair und respektvoll.
Manfred Novak als Herausgeber, Dominik Susteck als Verleger sowie allen weiteren Beteiligten kann nicht genug für ihr großes Engagement gedankt werden, diese für das bisherige Lebenswerk Peter Plan­yavs­kys so repräsentative Auswahl zusammengetragen und zu aktualisiert zu haben. Das angefügte Schriftenverzeichnis belegt eindrucksvoll die pub­lizistische Produktivität des Jubilars. Überdies ist der Band äußerst ansprechend gestaltet: vom Umschlagsmotiv, das die Spannung des Titels hervorragend unterstreicht, über den gut lesbaren Satz bis hin zur Haptik und Handhabung.
Diese schlichte, keineswegs pompös-beweihräuchernde Festgabe sei allen wärmstens empfohlen, die sich für die Geschichte und vor allem die Zukunft der musica sacra interessieren. Besonders jüngere Leser können hier in komprimiertester Form jene Zeitläufte entdecken, die sie selbst nicht durchleben konnten, und sich zugleich an der Frische von scheinbar Altvertrautem erfreuen.

Markus Zimmermann