Golden Jubilee!

Celebrating the Harrison & Harrison organ of Coventry Cathedral in its Golden Jubilee Year

Verlag/Label: Herald HAVP CD 377 (2012)
erschienen in: organ 2013/01 , Seite 58

4 von 5 Pfeifen

Im Gegensatz zu uns Deutschen sind die Briten Pragmatiker durch und durch. Warum also ohne Not etwas aufgeben, was sich qualitativ bewährt hat oder im Laufe der Zeit zu einem „stilbildenden“ Charakteristikum geworden ist? Eben deshalb klingen die „orgelbewegten“ Instru­mente jenseits des Kanals weder spröde noch kalt. Runde, satte Bässe, tragende Grundstimmen, dynamisch expressive Schwellwerke sowie die effektvollen Zungenstimmen auf erhöhtem Winddruck (wie hier in Co­ventry mit Orchestral Trumpet 8’ und Orchestral Clairon 4’ im IV. Solo-Manual) sind solche Errungenschaften des englischen Orgelbaus seit etwa Mitte des 19. Jahrhunderts, denen selbst radikal orgelbewegte Geister nicht wirklich etwas anhaben konnten.
Und ebenso mussten die britischen (Orgel-) Komponisten nach dem 2. Weltkrieg das Rad nicht neu erfinden. Basierend auf tradierten Formen und Klangsprachen schufen sie Werke, die inzwischen selbst zu Klassikern der Moderne geworden sind. Dass der liturgische Kontext, aus dem heraus ein Großteil der hier eingespielten Orgelwerke entstanden ist, nicht zwangsläufig einengend sein muss, versteht sich für einen Briten dabei von selbst.
Ausgelassen virtuose Spielfreude sowohl aus spieltechnischer wie orgelklanglicher Sicht kennzeichnet viele der hier – zum Teil als Weltersteinspielungen – aufgenommenen Werke. Für einen Kontinentaleuropäer zwar kaum vorstellbar: aber liturgische Musik muss weder primär konstruktiv-intellektuell noch weltabgewandt-introvertiert oder gar de­pressiv sein. Kerry Beaumont, seit 2006 Director of Music der Kathe­d­rale von Coventry, hält mit der vorliegenden Einspielung ein überzeugendes Plädoyer für eine Musik, die überwiegend der gemäßigten Moderne zuzuordnen ist. Mit Verve geht er die toccatenartigen Werke von Jonathan Dove (Niagara), Philip Moore (Paean) oder Bob Chilcott (Sun Dance) an, nimmt sich mit typisch britischem Understatement der rhythmisch exaltierten Tuba Magna von John Madden an. Simon Prestons Allelu­yas, mit unverkennbaren Anklängen an Messiaen und Langlais, dürfte ebenso wie William Mathias’ Processional mit zu den lohnenswertesten Entdeckungen dieser CD gehören.
Gleichfalls lohnenswert zu entdecken, neben der hier eingespielten Musik selbst, ist das 1962 erbaute imposante 32’-Instrument von Harrison & Harrison mit seinem markanten Zwillingsprospekt nördlich und südlich des Hochchors. War es doch die in Durham angesiedelte Firma, die 1954 mit ihrem spektakulären Orgelneubau für die Londoner Royal Festival Hall dem englischen Orgelbau neue, wegweisende Impulse gab. Trotz einer relativ steil angelegten Disposition klingt an diesem 74-Register-Werk (mit elektopneumatischen Trakturen) nichts spitz oder gar scharf. Der Klang gebietet über Breite und bleibt in seinen Konturen ausgesprochen klar. Die charakteristischen Grundstimmen haben Tiefe, verlieren sich dennoch nicht im nebulösen Dunkel; Aliquoten und Mixturen sind eingebunden in einen homogenen Gesamtklang, der in allen Schattierungen rein und ausgewogen bleibt.

Wolfgang Valerius