Renkewitz, Werner (†) / Jan Janca / Hermann Fischer

Geschichte der Orgelbaukunst in Ost- und West­preußen von 1333 bis 1944

Bd. II,2: Von Johann Preuß bis E. Kemper & Sohn, Lübeck/ Bartenstein

Verlag/Label: Siebenquart, Köln 2015, 824 Seiten, 94 Euro
erschienen in: organ 2016/02 , Seite 61

Ein wahrlich (ge-) wichtiges Forschungsprojekt hat nach 31 Jahren seinen krönenden Abschluss gefunden. Mit Band II,2 liegt nun der letzte Teil der von Jan Janca und Werner Renkewitz initiierten Arbeit zur Orgelbaugeschichte in Ost- und Westpreußen als Band 25 in der Reihe „Veröffentlichungen der Wal­cker-Stiftung für orgelwissenschaftliche Forschung“ vor. Der untersuchte Zeitrahmen erstreckt sich ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und reicht bis 1944. Zudem ist (soweit möglich) das weitere Schicksal noch erhaltener, respektive nach 1945 erst verloren gegangener Instrumente dokumentiert. Wie bei den vorausgegangenen Bänden ist auch diesmal ein biografischer Teil über die Orgelbauer/-Familien den Einzeldarstellungen vorangestellt.
Den Reigen der vorliegenden Gesamtdarstellung eröffnet Johann Preuß (1722–98), Schüler von Adam Gottlob Casparini; einige kleine Instrumente dieses Meisters sind in verändertem bzw. rekonstruiertem Zustand erhalten. Geografisch bleibt die Darstellung beileibe nicht auf Ost- und Westpreußen beschränkt. Besondere Aufmerksamkeit verdient z. B. Daniel Wroblewsky (1744–1818), der nach Lehr- und Wanderjahren in der Heimat in Skandinavien tätig war. Nur noch wenige Orgelgehäuse in Dänemark zeugen heute vom Wirken dieses Meisters. Das letzte noch erhaltene Wroblew­sky-Gehäuse in Norwegen (Porsgrunn) wurde 2001 bedauerlicherweise ein Opfer der Flammen.
Aus dem 19. Jahrhundert sind mehrere Orgelbauerfamilien mit erhaltenen Instrumenten dokumentiert, etwa Scherweit aus Königsberg und Rohn aus Wormditt. Überregional bekannt wurden die Orgelbauerfamilien Terletzki, Wittek (Königsberg bzw. Elbing), sowie Goebel (Königsberg; Danzig).
Max Terletzki erhielt in den 1850er Jahren seine Ausbildung bei Cavaillé-Coll (wo er u. a. Wilhelm Sauer begegnete, der später zu einem ernstzunehmendem Konkurrenten wurde). Die Pariser Lehrjahre hinterließen ihre Spuren: Terletzki disponierte auch bei kleineren Instrumenten Zungenstimmen und baute im damaligen Ostdeutschland die ersten Orgeln mit Barkerhebeln. Im Gegensatz zu seinem Bruder August, der noch sehr lange an der Schleiflade festhielt, sah Max sehr früh die vom damaligen Zeitgeschmack suggerierte Notwendigkeit, zur Registerkanzellenlade überzugehen. Obwohl beide Brüder recht früh eigene Werkstätten gründeten, arbeiteten sie dennoch an zahlreichen Projekten gemeinsam. Glücklicherweise haben auch einige dieser größeren Instrumente der Gebrüder Terletzki die geschichtlichen Wirren überdauert, wie das Werk in der katholischen Wallfahrtskirche Glottau (Glotowo) (1869, II/ P/29, mechanische Schleiflade), dessen Gehäuse den französischen Einfluss nicht verleugnen kann.
Von Bruno Goebel, dessen fünf Söhne alle Orgelbauer wurden, zunächst den väterlichen Betrieb weiterführten und nach 1945 verschiedenenorts in Deutschland tätig waren, ist gar ein Instrument in Berlin bis heute original erhalten (St. Mauritius, 1909/10: 32/II/P, pneumat.); entgegen der im Buch publizierten Angabe wurde es mittlerweile restauriert. Erhalten ist auch ein großes Instrument (1927/34: 64/IV/P, elektr. Traktur) in der ehemals lutherischen Kreuzkirche (heute: katholische Allerheiligenkirche) in Posen (Poznan), seinerzeit ein Umbau und Erweiterung einer älteren Sauer-Orgel, mit seiner von der deutschen Orgelbewegung beeinflussten Disposition.
Nicht vergessen sollte man, dass die Lübecker Firma Kemper in Bartenstein eine Filiale betrieb. Initialzündung hierfür war die Restaurierung der (leider nicht erhaltenen) Orgel in der dortigen Evangelischen Stadtkirche. Kemper stellte vor 1945 eine potente Größe innerhalb der deutschen Orgelbaulandschaft dar. Sehr früh begann man hier, sich den Ideen der Orgelbewegung zu öffnen und Positive mit Schleifladen zu bauen. Von der hohen Qualität von Kemper zeugt bis heute der Umbau der Domorgeln in Frauenburg (Frombork) (1934/35: 48/ V/P, elektr. Traktur und gemeinsamer Spieltisch für die Haupt- und Chororgel), eines der führenden polnischen Konzertinstrumente, das bis heute durch seine klanglichen und technischen Vorzüge besticht. Obwohl die Disposition (nach 1945 geringfügig modifiziert) ganz dem neuen Zeitgeschmack entsprach, lässt sich auf dieser Orgel auch romantische Literatur überzeugend darstellen. Beachtlich war für die damalige Zeit auch die Ausführung des Spielapparats, galt es doch, große Entfernungen von dem im Kirchenschiff befindlichen Spieltisch zu den im ganzen Raum verteilten Teilwerken elektrisch zuverlässig zu überbrücken.
Lesenswert sind neben den Orgelbauerbiografien die eingestreuten und mit Anekdoten gewürzten Zeitzeugenberichte von Werner Renkewitz, die ein lebendiges Bild gerade vom Spannungsfeld zwischen dem „traditionellen“ Orgelbau des ausgehenden 19. Jahrhunderts und den oftmals in hitzigen Debatten stürmisch vorangetriebenen Ideen der „Neuerer“ zeichnen. Renkewitz absolvierte seine Ausbildung zum Orgelbauer bei Wittek in Elbing sowie bei Kemper, war Mitbegründer der Kemper-Filiale in Bartenstein und kannte viele der nicht mehr erhaltenen Instrumente Ost- und Westpreußens noch aus eigener Anschauung. Jan Janca gebührt das große Verdienst, Renkewitz’ Ausführungen in enger Zusammenarbeit mit polnischen Orgelforschern gesichtet und systematisiert zu haben. Hermann Fischer zeichnet wiede­rum, ähnlich wie bereits im vorangegangenen Band, für die Beschreibungen und Typisierungen der Orgelgehäuse verantwortlich.
Ergänzungen und Corrigenda zu den beiden vorangegangenen Bänden runden den gewohnt hochwertig ausgestatteten Band ab.

Michael F. Runowski