Reubke, Julius

Gesamtes Œuvre für Klavier & Orgel

Verlag/Label: Oehms Classics, OC 439 (2015)
erschienen in: organ 2015/04 , Seite 56

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Der dreißigjährige Innsbrucker Pianist und Organist Michael Schöch legt mit dieser CD das gesamte  Œuvre des früh vollendeten Liszt-Meisterschülers Julius Reubke für Klavier und Orgel vor. Schöchs Ers­ter Preis beim Internationalen Musikwettbewerb der ARD 2011 im Fach Orgel bezeugt, dass er als Musiker (als Organist wie als Pianist) eine Ausnahmeerscheinung in der klassischen Musikerszene ist. Schöch studierte Klavier am Landeskonservatorium Innsbruck bei Bozidar Noev, an der Münchner Musikhochschule bei Gerhard Oppitz und am Salzburger Mozarteum bei Pavel Gililov und war zudem Meis­terklassenabsolvent im Fach Orgel bei Edgar Krapp in München.
Schöchs Einführungstext zu den Werken von Reubke bezeugt seine persönliche Affinität und sein Engagement für diese Musik, die – zumindest im Bereich der Klavierwerke – weitestgehend zu Unrecht unbekannt geblieben ist. In diesem Punkt ist die Einspielung von hohem Repertoirewert. Zugleich ermöglicht sie es, gerade die in engem Zeitabstand komponierten Sonaten für Klavier und Orgel direkt miteinander zu vergleichen. Dabei fällt auf, wie perfekt der junge Reubke die individuellen Möglichkeiten beider Tasteninstrumenten kompositorisch meisterlich bedient und alle klanglichen und virtuosen Reserven seiner Zeit nutzt, instrument-übergreifend agiert, aber eben auch instrumententypisch fakturiert. Während Reubkes Klaviersonate harmonisch weiter in die Zukunft weist, zieht seine Orgel-Schwester dagegen des Öfteren genregemäß polyphone Strukturen vor und übertrifft im virtuosen Pedalgebrauch bei weitem die Werke seines Lehrer Liszt.
Schöchs Klavierspiel verzaubert den Zuhörer mit inniger Lyrik, sinnvoller Phrasierung, lebendiger Agogik und ästhetischem Klang. Pianis­tische Virtuosität kommt völlig ohne Selbstzweck daher, sie dient immer einer klaren, durchdachten, plastischen Darstellung der Komposition. Auf der Orgel traut sich Schöch offenbar weit weniger Agogik zu, manchmal fehlt gar das erforder­li­che energische Vorwärtsdrängen bei den kolossalen Klangsteigerungen, wäh­rend er die beiden Fugen recht sportlich-virtuos darbietet. Insgesamt ist diese CD eine erstaunlich reife, klare und überzeugende Deutung der hochromantischen Meis­terwerke des genialen Liszt-Schülers Reubke.
Die Hauptorgel der Stadtpfarrkirche Mariä Himmelfahrt in Lands­berg am Lech (IV/60/Ped), ursprünglich als neobarockes Instrument 1983 von Gerhard Schmid/Kaufbeuren erbaut und 2001/03 von Siegfried/Immenstadt „reorganisiert“, umgebaut und „modernisiert“, stellt sich heute als multistilistisches Instrument mit gewissem neosymphonischem Einschlag dar, auf der Reubke – freilich ohne allzu viel deutsch-romantischen Schmelz – problemlos darstellbar ist. Sicherlich gäbe es hier noch geeignetere historische Orgeln oder stilaffine Neubauten speziell in der Stilistik der deutschen Romantik, doch da Schöch auch auf einem modernen Flügel spielt, unterstreicht die kompromissbereite Wahl des in seinem ursprünglichen Wesenskern neobarocken Instruments umso mehr die Zeitlosigkeit des eingespielten Repertoires.

Stefan Kagl