Bach, Johann Sebastian

Frühe Orgel Werke

Verlag/Label: Dabringhaus und Grimm, MDG 914 1743-6 (2012)
erschienen in: organ 2012/04 , Seite 55

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Die vorliegende CD liefert einen bunten Querschnitt durch Johann Sebastian Bachs frühes Orgelschaffen. Neben den bekannteren Präludien C-Dur und g-Moll (hier wurde auch die Alternativfassung des Präludiums BWV 535a aufgenommen) und der Toccata in d-Moll finden sich auf dieser Einspielung diverse Choralvorspiele, die Corelli-Fuge, die Partita über Ach, was soll ich Sünder machen, die erst spät Bach zugeschriebene Fantasia BWV 1121, und mit Herr Jesu Christ, dich zu uns wend ein Beispiel der so genannten Arnstädter Gemeindechoräle.
Die Wahl des Instruments begründet der Interpret im umfäng­lichen CD-Booklet mit einer Vermutung: „… es ist anzunehmen, dass Johann Sebastian Bach bei seinen Hamburger Besuchen 1701 und anlässlich seiner Bewerbung um den Organistenposten in der St. Jacobi-Kirchen 1720 die heute in Cappel stehende Schnitger-Orgel gespielt hat.“ Wie dem letztlich auch sei, sicherlich stellt das berühmte Schnitger-Instrument eine vorzügliche Wahl dar.
Auch in interpretatorischer Hinsicht bietet Vogel einige sehr persönlich gefärbte Varianten: Zum einleitenden Pedalsolo von BWV 531 schreibt er: „Die Wiederholungen im Bass-Solo werden in der Aufführungspraxis der norddeutschen Meister alternierend mit dem Hauptwerk-Plenum gespielt.“ Eine ähnlich originelle Lesart zeigt der Anfang der Toccata in d: „Es handelt sich um eine Klangnotation, die sich auf das gleichzeitige zweimanualige Spiel mit unterschied­lichen Plenumsregistrierungen bezieht.“ Vogels an norddeutscher Literatur erprobte Spielweisen erweisen sich als durchweg spannend für Bachs Frühwerke, dessen Verbundenheit mit der norddeutschen Schule durch die Manuskriptfunde in der Amalienbibliothek noch deutlicher zu Tage tritt. Dass mit Vogel ein versierter Kenner von Repertoire und Instrument am Spieltisch zu Gange ist, muss nicht eigens hervorgehoben werden.
Die Cappeler Schnitger-Orgel diente 1947 bis 1952 dem „Bach-Papst“ Helmut Walcha damals schon als ideales Aufnahmeinstrument für dessen erste Mono-Einspielung der Orgelwerke Bachs, seinerzeit ein epochaler diskografischer Meilenstein. Grund genug, einmal einen Vergleich anzustellen, soweit dies möglich ist, denn Walcha verzichtete auf etliche kleinere Frühwerke und Werke, deren Echtheit zu dieser Zeit als zweifelhaft galt. Das Ergebnis ist erhellend und lässt sich recht gut im Sinne eines fotografischen Vergleichs beschreiben. Walchas Interpretationen stehen hierbei für einen gestochen scharfen und kontrastreichen Schwarz-Weiß-Aufnahmestil, während Vogel wärmere Farben mit zusätzlichem Weichzeichner anlegt.
Dieser Eindruck bestätigt sich auch hinsichtlich der unterschied­lichen Registrierpraxis. Vogel demonstriert über weite Strecken hin die kantablen Qualitäten einzelner Grundstimmen, dies gilt auch für die sanglich empfundene Artikulation und Agogik. Als Beispiel möge das Fugenthema von BWV 535 gelten, das Walcha mit größtmög­licher artikulatorischer Schärfe behandelt, Vogel hingegen mit entsprechender Dichte eines strukturierten Legatos. Hier wird gewissermaßen am Objekt selbst ein ideolisches Klischee der Neo-Schnitger-Ästhetik im Orgelbau widerlegt, dass die barocken Originalinstrumente des hanseatischen Nordens nämlich durchaus auch über poetisch-lyrische Qualitäten verfüg(t)en.
Ähnliche Unterschiede zeigt der vergleichende Blick auf die jewei­lige Agogik. Walcha spielt metrisch höchst konsequent, mit Blick auf den Gesamtzusammenhang, bei Vo­gel gibt es mehr herausgearbeitete Details im Sinne packender Momentaufnahmen zu entdecken, was letztlich allerdings hörbar zu Lasten des großen Bogens geht, so etwa in BWV 727.
Insgesamt ein für Bach-Kenner und -Liebhaber instruktiv-kreativer Beitrag mit manchen diskussionswürdigen Anregungen zur Interpretation.

Axel Wilberg