Gerd Zacher

Event(ualitie)s

Solo and Duo Compositions. Hasti Molavian, Sopran; Evelin Degen, Flöte; piano duo Tomas Bächli|Gertrud Schneider; Th. Günther, A. Pollmann und Juan Allende-Blin, Klavier; Matthias Geuting, Orgel

Verlag/Label: 2 CDs, Wergo WER 73942
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2020/04 , Seite 57

5 von 5 Pfeifen

Gerd Zacher (1929–2014) gehört mit Ligeti, Nono, Boulez, Stockhausen und Kagel zur Nachkriegsavantgarde und war einer der wichtigsten Interpreten neuer Orgelmusik. Im Studium bei Günter Bialas in Detmold schrieb er 1952 Glossar für Flöte und Klavier. Der Wechsel von exakter und indeterminierter Notation entfaltet hier bei aller zwölftönigen Konstruktivität eine lebhafte Musikantik, die Flötistin Evelyn Degen mit graziler Leichtigkeit ausspielt. Die Fünf Transformationen für Klavier entstanden 1954 auf der Basis gespiegelter Ton- und Dauernproportionen zeit­gleich zu den ersten Klavierstücken des lediglich ein Jahr älteren Stockhausen.
Eine symbolische Aufladung erfahren Umkehrvariationen in Das Gebet Jonas im Bauche des Fisches für Sopran und Orgel von 1964, das sich ansonsten jeder romantizistischen Programmatik enthält. Statt ein klangmalerisches Feuerwerk vir­tuoser Orgeleffekte zu zünden, bezieht sich das im Nachlass gefundene Orgelsolo Explosiva auf die Plosivlaute des hebräischen Alphabets. Alle Klänge treten nur ein einziges Mal auf, setzen hart ein und aus, sind wahlweise hauchig, klirrend, wummernd, fistelnd …
Der Organist und Komponist rang Zeit seines Lebens mit der Königin der Instrumente, um dieser neben majestätischer Pracht auch Profanes zu entlocken, das sie den sakralen Vereinnahmungen entzieht. Welche Varianz an Klängen Zacher auf der Orgel freizusetzen verstand, zeigen seine 75 event(ualitie)s, die der Doppel-CD mit Ersteinspielungen einiger seiner Solo- und Duowerke den Titel gaben. Das Stück ist John Cage 1987 zum 75. Geburtstag gewidmet. In beliebiger Folge werden 75 Karten gespielt. Notiert sind darauf Einzelstimmen, Pausen, volles Werk mit einbrechendem Wind, Aktionen mit der Innenseite der Hände nach oben, sowie Klänge ohne Orgel, etwa Vokales.
Dem Zufallsprinzip folgt auch die simultane Zuspielung einer Aufnahme von Juan Allende-Blins 1987 ebenfalls Cage zugedachtem siebeneinhalb dezennien für Klavier. Die unterschiedlichen Weisen der Klangerzeugung beider Tasteninstrumente – meist im Innenklavier – hybridisieren sich zu gesteigerter Fremdheit. Und die Varianz der Realisa­tionsmöglichkeiten machen zwei je zwanzigminütige Aufführungen erfahrbar.
Die Aufnahmen sind akustisch und interpretatorisch ausgezeichnet. Die Interpreten waren schon zu Zachers Lebzeiten mit dessen Musik und Spiel vertraut, nicht zuletzt durch das Studium an der Folkwang Hochschule in Essen, wo Zacher seit 1970 als Professor für Orgel und Leiter der Abteilung Evangelische Kirchenmusik wirkte. Matthias Geuting an der Orgel der Evangelischen Kirche Essen-Rellinghausen war ebenso sein Schüler wie die Pianisten Thomas Günther und Alfred Pollmann. Der ausführliche Kommentartext von Klaus Linder – einst Privatschüler von Allende-Blin – ist gut geschrieben, kundig und informativ.

Rainer Nonnenmann