Ernst Pfiffner (1922–2011)
Christian Schmitt an der Metzler-Orgel der Ref. Stadtkirche Zofingen, Schweiz (2022)
“Christian Schmitts souverän gestaltete CD ermöglicht eine Neuentdeckung des Komponisten Ernst Pfiffner und gehört in die Bibliothek aller kirchenmusikalischen Ausbildungsstätten.” (Rainer Mohrs)
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Ernst Pfiffner (1922–2011), geboren in Mosnay (Kanton St. Gallen), gehört zu den wichtigen Kirchenmusikern und Orgelkomponisten der Schweiz. Er studierte Kirchenmusik in Rom und am Konservatorium Basel und hatte Unterricht bei dem bedeutenden Schweizer Orgelkomponisten Willy Burkhard, der seinerseits Schüler von Sigfrid Karg-Elert war. Anschließend nahm Pfiffner Unterricht in Paris bei Nadia Boulanger, wo er sich intensiv mit der Klangwelt der französischen Musik beschäftigte.
Pfiffner wirkte von 1950 bis 1987 als Kantor, Chorleiter und Organist an der eher kleinen St. Michaelskirche in Basel, einem modernen Kirchenbau aus dem Jahr 1950. Die schlichte, sachliche Architektur der Moderne dürfte seine Musik ebenso geprägt haben wie die ihm dort zur Verfügung stehende relativ kleine Orgel der Schweizer Firma Metzler mit zwei Manualen und 24 Registern. Pfiffners Orgelmusik zeichnet sich aus durch eine sehr effektive Verwertung der musikalischen Mittel im Dienst der liturgischen Aussage. Pfiffner wirkte auch als Pädagoge und leitete von 1976 bis 1987 die Akademie für Schul- und Kirchenmusik in Luzern; außerdem war er viele Jahre lang Redakteur bei der wichtigen Schweizer Fachzeitschrift Katholische Kirchenmusik.
Damit gehört Ernst Pfiffner zu den bedeutenden Persönlichkeiten der Schweizer Kirchenmusik des 20. Jahrhunderts, und es ist sehr zu begrüßen, dass auf der vorliegenden CD erstmals ein repräsentativer Ausschnitt aus seinem Orgelwerk vorgestellt wird. In einer Zeit, in der häufig ein gewisser Standard-Kanon auf CD reproduziert wird, setzt hier der der bekannte Konzertorganist Christian Schmitt, „Echo Klassik“-Preisträger und seit 1921 Professor an der Codarts University Rotterdam, einen bewussten Akzent anlässlich Pfiffners 100. Geburtstag am 6. Dezember 2022. In einem sehr lesenswerten Interview im CD-Booklet liefert Schmitt selbst die Erklärung mit, warum Pfiffners Musik bisher nicht auf CD zu hören war: „… seine Musik verlangt sowohl den Interpreten als auch den Zuhörern einiges ab. Dass sie nie zum Mainstream gehören würde, war zweifellos auch dem Komponisten klar.“ Für seine CD-Einspielung hat Schmitt klugerweise eine Metzler-Orgel ausgewählt, allerdings mit der 1984 erbauten Orgel der Stadtkirche Zofingen, ein großes Instrument, das mit 48 Registern auf drei Manualen und Pedal einerseits eine klare Transparenz ermöglicht, andererseits aber auch über ausdrucksstarke Farben verfügt, die Pfiffners Orgelmusik guttun und optimal zu seiner differenzierten Kompositionstechnik passen.
Die CD stellt vier choralgebundene Orgelwerke vor. Sie beginnt mit der Choral-Fantasie „Verleih uns Frieden gnädiglich“ (1961). Der alte gregorianische cantus, von Martin Luther 1527 mit dem deutschen Text versehen, ist vom Charakter her eine strenge, fast asketische Melodie. Diese ernste Stimmung greift Pfiffner auf und schon bei der Vorstellung des Themas zersplittert er es in einzelne Motive und symbolisiert damit die Zerrissenheit und Fragilität der Menschheit, die ihre Bitte um Frieden zu allen Zeiten als Gebet formuliert hat. Pfiffners kühne Harmonik und seine völlig freie, unkonventionelle satztechnische Arbeit stehen ganz im Dienst der liturgischen Aussage: hier wird keine heile Welt erbeten, sondern die Gespaltenheit und Fragilität des menschlichen Zusammenlebens abgebildet. Schmitt gestaltet die Musik mit großer Ruhe, sehr gutem Gespür für Klangfarben, technisch souverän und mit bestechender Virtuosität. Sehr einfühlsam und formal klug disponierend gestaltet er die spannungsreiche Entwicklung der Choralfantasie, die die Bitte um Frieden zunächst verhalten, kleingliedrig, fast „stammelnd“ vorträgt, um sie am Schluss in ein mächtiges Gebet münden zu lassen: mit dem erstmals ganz vorgetragenen Choral in der Oberstimme und im Pedal, mit intensiv strahlenden, französisch schillernden Klängen, die in ihrer Kühnheit an Karg-Elert erinnern und doch harmonisch weit über ihn hinausgehen.
Der starke Eindruck, der von dieser Choralfantasie ausgeht, bestätigt sich in der großen fünfsätzigen Choral-Sonate Nr. 1 „Mitten wir im Leben sind“ (1965), einer klanglich und formal ungemein differenzierten und intensiven Auseinandersetzung mit dem alten Choral „Media vita in morte sumus“ und dem menschlichen Bewusstsein der Endlichkeit des eigenen Daseins. Sehr eindrucksvoll der Schlusschoral mit seinen zarten, tröstenden und doch kühnen Harmonien. Überwiegend von zarten Klängen geprägt sind auch die Meditationen über den Choral „O du Lamm Gottes unschuldig“ (1964), die der Interpret mit großer Ruhe und innerer Anteilnahme gestaltet. Einen wirkungsvollen Abschluss der CD bringt die 16-minütige Partita „Gott sei gelobet“ (1964).
Christian Schmitts souverän gestaltete CD ermöglicht eine Neuentdeckung des Komponisten Ernst Pfiffner und gehört in die Bibliothek aller kirchenmusikalischen Ausbildungsstätten.
Rainer Mohrs