Guillou, Jean

Enfantines op. 81 für Orgel

Verlag/Label: Schott Music, ED 22063
erschienen in: organ 2016/02 , Seite 62

Enfantines: „Kindlichkeiten“ oder „Kindereien“ – so nennt Komponist und Organist Jean Guillou sein nun bei Schott Music vorgelegtes Opus 81, das aus sechs Orgelstü­cken mittleren Schwierigkeitsgrades besteht. Dass dieser schelmische Werktitel mit einem koketten euphemistischen Augenzwinkern zu lesen ist, wird allerdings schon nach wenigen Takten der ersten „Kinderei“ glasklar. Der Interpret muss sich trotz der für Guillous Verhältnisse hier vergleichsweise überschaubaren technischen Herausforderungen einem durchgearbeiteten, komplexen Orgelsatz stellen, der zudem ein komfortabel disponiertes Instrument mit modernem Tastenambitus in Manual und Pedal verlangt.
Guillou liefert hier einmal mehr den Beweis, dass er auch gehaltvolle Orgelstücke zu schreiben vermag, die deutlich unter seinen eigenen virtuosen Möglichkeiten liegen; dass hierbei die typische Handschrift des Großmeisters der französischen Orgel gleichwohl kräftig und scharf konturiert zeichnet, dafür liefert jeder einzelne Takt dieser spannenden Orgelminiaturen einen beredten Tatbeweis.
Guillou bedient mit diesem Band ganz bewusst kein außermusikalisches Programm, sondern lässt den Assoziationen von Interpret und Zuhörer/in stets freien Lauf: Hier öffnet sich eine Grube vor den kleinen Füßchen des musikalischen Protagonisten, dort betreten wir mit ihm zusammen lichtes architektonisches Terrain; da türmen sich Fantasiegestalten auf, hier blickt man in ein farbenreiches Kaleidoskop. In allen Stücken jedoch weht uns der vitale Geist lebendiger Neugierde entgegen, fernab von kleinlichen Verboten und dogmatischem Regelwerk. Dass der 85-jährige Komponist das unbeschwerte Wesen der Kindheit musikalisch so grandios und treffend auf unser „behäbiges“ Instrument zu übertragen vermoch­te, rechtfertigt die unbedingte Empfehlung zu Lektüre, Studium und öffentlicher Aufführung von Guillous neuem Opus 81 für die Orgel.

Jörg Abbing