Rózsa, Miklós (1907–95)

El Cid

Verlag/Label: Antes Edition BM319296 (2015)
erschienen in: organ 2016/01 , Seite 58

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Dunkle, hohle Färbungen, eine sanft schwebende Unda maris und raumgreifende Flöten: ein Ensemble, das breit strömende, in der Tiefe fundierte Klangflächen entstehen lässt. Langsam schrauben sie sich in die Höhe, sekundiert von abgründig-geschwärzten Pedal-Bässen: Trauermusik, die den Leichnam eines spa­nischen Edelmanns auf dem letzten irdischen Weg geleitet. Sein Name: Rodrigo Díaz de Vivar, besser bekannt als „El Cid“, jener Held, der sich um 1080 als treuer Diener des Königs von Kas­tilien erwies – und dessen Leben nicht zuletzt 1961 in dem legendären Hollywood-Filmstreifen El Cid nacherzählt wurde, mit Charlton Heston in der Titelrolle und Sophia Loren.
Es ist ein bewegtes, geradezu aufregendes und an Dramatik reiches Leben. Und ebenso dramatisch ist die Musik, die Miklós Rózsa seinerzeit für den Film des Regisseurs Anthony Mann schrieb. Miklós Rózsa (1907–95) studierte Ende der 1920er Jahre Komposi­tion beim Reger-Schüler Hermann Grabner am Leipziger Landeskonservatorium. Nach seiner Übersiedlung in die USA schrieb er als einer der gefragtesten Filmmusikkomponisten seiner Generation zahlreiche qualitätvolle Werke für namhafte Produktionen, darunter auch der Monumentalklassiker Ben Hur (1959).
Rózsa braucht einen groß angelegten Orchesterapparat, der Wuppertaler Konzertorganist und promovierte Musikwissenschaftler Phi­lipp Maximilian Pelster (geb. 1984) eine entsprechend große Orgel für seine aufwändige Transkription der Originalpartitur für Orchester. Er fand sie ausgerechnet in der gotischen Kathedrale von Léon (Kastilien), einem der Wirkungsorte des historischen El Cid/Rodrigo Díaz de Vivar. Und hier realisierte Pels­ter seine Version von El Cid, die nicht beim „Marcia funèbre“ stehenbleibt, sondern in der Apotheose des Helden gipfelt. Zuvor beleuchtet er in 19 Stationen all die Licht- und Schattenseiten jenes heldenhaften Charakters, zaubert fantasievoll imaginäre Räume wie den Königspalast hervor, beschreibt schillernde Persönlichkeiten, etwa den Berberfürs­ten Ben Yussuf oder Rodrigos Mitstreiter. Die fabelhaft klingende Klais-Orgel von 2013 (V+P/65, von Maître Jean Guillou konzipiert und disponiert; die Zwillingsgehäuse im Chor bzw. Prospektgestaltungen stammen von dem spanischen Künstler Paco Chamorro Pascual) bietet ihm dabei eine veritable Palette pittoresker Klang­farben, darunter etliche Horizontalzungen verschiedener Couleurs, flutende Grundstimmen und bizarre Aliquot-Mischungen (à la Guillou).
Rózsas Musik ist fulminant und besteht locker ohne die bewegten Bilder des Films. Sie spricht für sich und sie spricht eine ganz eigene, charakteristische Sprache, gesättigt von typisch spanischem Flair. Pelster taucht tief ein in diese glutvolle postromantische Klangwelt, „übersetzt“ sie und stimmt sie punktgenau ab auf die Möglichkeiten der eigenwilligen Kathedralorgel. Spieltechnisch lässt er keine Wünsche offen. Schön, dass auch die Aufnahmetechnik Großartiges geleistet hat und das Instrument überaus plas­tisch und räumlich erfahrbar zur Wirkung kommen lässt.
Nicht genug mit El Cid:?An der Glatter-Götz-/Rosales-Orgel der Claremont United Church of Christ im US-Staat Kalifornien widmet sich Pelster einem weiteren Filmklassiker: Conan der Barbar von 1982 (mit Arnold Schwarzenegger in der Titelrolle). Die Musik zu diesem Fantasy-Spektakel stammt aus der Feder des US-Amerikaners Basil Poledouris. Auch er schafft – wie Rózsa – vor allem Atmosphäre, evo­ziert im Kopf der Hörer eindring­liche Bilder: Kampfgetümmel, Liebesgefühle, das pralle Leben halt. Wobei Poledouris’ Komposi­tion etwas einfacher „gestrickt“ ist im Vergleich zu der raffinierteren und detailreicher ausgearbeiteten seines älteren Kollegen. Pelster gelingt aber auch hier eine überzeugende Adaption der für ein rund neunzigköp­figes Orchester geschriebenen Partitur für die Orgel. Die Aufnahmetechnik fängt das Instrument (III + P/58) – im unmittelbaren Vergleich zum Kathedralklangerlebnis in León – naturgemäß allerdings analytisch-trockener ein.
Beide CDs sind ein eindrucksvolles Plädoyer für gute Filmmusik, insbesondere aber auch für Pelsters superbe Transkriptionskunst. Seine Intention, „orgelferne“ Publikumsschichten auf das Instrument Orgel aufmerksam bzw. neugierig zu machen, mag daher gut aufgehen. Immerhin schaffen selbst „klassische“ Sinfonieorchester es schon seit etlichen Jahren mit Konzerten, in denen Computerspiel-Musik live zu erleben ist, ein neues Publikum zu generieren. Da sitzen dann jede Menge Nerds in den „bürgerlichen“ Konzerthäusern. Warum dann eigentlich nicht auch Kinofreaks vor silbrig glänzend polierten Orgelpfeifen?

Christoph Schulte im Walde