Gárdonyi, Zsolt
EGATOP
Hommage à Errol Garner, Art Tatum und Oscar Peterson
Drei Giganten des Klavierjazz standen Pate bei Zsolt Gárdonyis Komposition aus dem Jahre 2010: Errol Garner (1921-77), der über ein feines Gehör und eine erstaunliche Technik verfügte obgleich er keine Noten lesen konnte und der durch einen Stern auf dem Hollywood Walk of Fame unsterblichen Ruhm erlangte; Art Tatum (1909-56), der nahezu blinde Pianist, dessen Einfluss auf den Jazz kaum unterschätzt werden kann auch und nicht zuletzt wegen seiner erstaunlichen Virtuosität, dass man gar glaubte, zwei Pianisten zu hören (wie Oscar Peterson zu berichten weiß, der diese Ausnahmeerscheinung als den größten Jazz-Instrumentalisten bezeichnete); und eben Oscar Peterson (1925-2007), Gewinner von sieben Grammys, Träger des Glenn-Gould-Preises und anderer Auszeichnungen, die eine eindrucksvolle Karriere widerspiegeln: drei in der Jazz-Szene unsterbliche Stars, deren Andenken Gárdonyi mit EGATOP eine Orgelkomposition als Hommage zugedacht hat.
Ist die Orgel ihrem Wesen nach eigentlich ein jazztaugliches Instrument? Eignet sie sich mithin überhaupt für eine solche Hommage? Diese Frage stellt sich in der Tat, wenn man bedenkt, dass alle drei Interpreten gerühmt wurden ob ihrer klanglichen Feinsinnigkeit und vor allem ihrer Virtuosität auf dem Jazzpiano (!). Beide Elemente sind nur bedingt auf Orgeln zumal in halligen Räumen umsetzbar. Andererseits birgt eine Jazzkomposition auf einer klassischen (polyphonen) Orgel, deren Repertoire mehr mit barocken Werken in Verbindung gebracht wird, durchaus Überraschungsmomente und ganz eigene Reize so weit, so gut.
Zsolt Gárdonyi (*1946) komponierte das knapp fünfminütige Werk 2010 zum 80. Geburtstag des Organisten Uwe-Karsten Groß zuvor bereits Widmungsträger mancher Gárdonyi-Komposition. Anklänge an den Jazz sind freilich unüberhörbar. Damit verharrt der Komponist im Wesentlichen auf dem mit seinem Mozart Changes (1995) angedeuteten Weg einer jazzinspirierten Orgeldiktion. Fernab von (teutonischer) Bemühtheit um französische orgelsymphonische Idiomatik sowie Zurschaustellung musikalischer Gelahrtheit anhand kontrapunktischer Künsteleien präsentieren sich Gárdonyis frühere Orgelkompositionen frisch, unverbraucht, wirken allesamt originell (wie Aerophonia, leider nur noch als Fantasie für Posaunen und Orgel erhältlich, oder Hommage à Marcel Dupré). In ihrer musikalischen Sprache waren (und sind) sie bei näherem Hin- und Hineinhören unverwechselbar. Das vorliegende Stück lässt eine solche klar identifizierbare Sprache jedoch vermissen: Gleichförmigkeit im Ablauf der Figuren trotz manch wirkungs- bzw. humorvoll erscheinender Wendung. Als Hommage wird EGATOP wohl überleben können, als originelle Komposition eines profilierten Gegenwartskomponisten wirkt das Stück allzu plagiathaft und kompositorisch unambitioniert.
Volker Ellenberger