Werke von J. P. Sweelinck, Hendrick Speuy, Anthoni van Noordt, Cornelis Schuyt, Gerhardus Havingha, Anonymus

Dutch Delight

Organ music from the Golden Age

Verlag/Label: Brillant Classics 95093 (2015)
erschienen in: organ 2015/04 , Seite 55

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Während die Dänen das frühe 19. Jahrhundert als ihr „guldalder“ bezeichnen, das Andersens Märchen, Thorvaldsens Skulpturen und Kier­ke­gaards Existenzphilosophie hervorbrachte, fällt das „Gouden Eeuw“ der Niederlande ins 17. Jahrhundert. Im städtischen Wohlstand der „Republik der vereinigten Niederlande“, die – von Spanien abgefallen – zeitweilig zur größten europäischen Handels- und Seemacht aufstiegen, gedieh nicht nur die Bildkunst der Großmeister Rembrandt van Rijn, Johannes Vermeer und Frans Hals. Mit seiner Orgelmusik bekräftigte Jan Pieterszoon Sweelinck noch einmal die europäische Geltung niederländischer Musik, die sich auf die Vokalpolyphonie der „franko-flämischen Schule“ und Orlando di Lassos gründete. Nicht nur die kirchliche Tonkunst stand in Blüte. Adel und Bürgertum kultivierten auch ihr irdisches Vergnügen. Beide Aspekte erhellt der niederländische Orgelvirtuose Matthias Havinga an der annähernd gleichaltrigen Faber/ Blank-Orgel in der Jakobuskirche des Dorfes Zeerijp (Provinz Groningen). 1651 von Theodorus Faber erbaut, wurde das Instrument 1978/ 79 von Bernhardt Edskes (Schweiz) und der niederländischen Orgelbaufirma Blank wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt und mitteltönig eingestimmt (Tonhöhe: A = 466 Hz).
Munter wechselnd zwischen Orgelfantasien (gleichsam als barockes Portal gleich zu Beginn Sweelincks Fantasia chromatica), Psalm-Bearbeitungen, Tanzsätzen niederländischer Stadtorganisten und namenlos überlieferten Tänzen, bereiten die 75 Spielminuten der CD eine unausgesetzte Ohrenfreude. Zumal Havinga die 19 Registerfarben der historischen Orgel delikat einzusetzen weiß.
Im Übrigen lehrt das (von Havinga im Beiheft kenntnisreich erläuterte) Album, dass die Stadtorganisten des Goldenen Zeitalters als Allroundmusiker und Pädagogen allen Respekt verdienen. Etliche Orgelbearbeitungen von Psalm-Melodien, weltliche Liedvariationen und Tanzsätze entstammen ihrer Feder – wie das feingesponnene Bicinium zum 118. Psalm von Hendrick Speuy, der dreißig Jahre lang Stadtorganist in Dordrecht war. Auch Anthoni de Noordt, Organist der Amsterdamer Kirchen Nieuwezijds­kapel (1652-64) und Nieuwe Kerk (1664-73), und Sweelinck, von 1577 bis zu seinem Tod 1621 an der Oude Kerk (als Nachfolger seines Vaters), variierten Psalmweisen auf der Orgel. Gut möglich, dass Letzterer bei den „Übeltätern“, denen der 36. Psalm den Sturz herbeiwünscht, die katholischen Spanier im Sinn hatte, die das abgefallene (calvinis­tische) Land mit Krieg überzogen.
Um die Orgelbearbeitungen geist­licher und weltlicher Weisen gruppieren sich Tänze, die der Interpret anonymen Musiksammlungen des 17. Jahrhunderts entnahm, darunter die Urform der niederländischen Nationalhymne Wilhelmus. Indes fanden auch die wohlbestallten Stadtorganisten Gefallen an der Tanzkunst. Wie Cornelis Schuyt aus Leiden, dessen Orgelmusik verloren ging. Doch lassen sich seine Padovanen en Gagliarden für sechsstimmiges Consort auf der Orgel gut darstellen, wie Havinga an einem Beispiel zeigt.

Lutz Lesle