Boslet, Ludwig

Drei Tonstücke

Festpräludium – Recitativ – Finale, Opus 25, hg. von Christoph Jakobi

Verlag/Label: Edition Peters Nr. 11289
erschienen in: organ 2011/03 , Seite 59

Er war ein Zeitgenosse etwa von Reger und Karg-Elert, ebenso aber von Widor und Vierne. Und doch ist die Musikgeschichte an ihm vo­rübergezogen, hat ihr gütiges Mäntelchen des Vergessens über den Organisten und Komponisten Ludwig Boslet gelegt. Nur in Trier, wo er ab 1911 als Domorganist wirkte, war sein Name nie ganz vergessen; seine Orgelkompositionen werden aber selbst dort eher selten, zumeist bei Konzerten mit eindeutig „lokalpatriotischem“ Kolorit aufgeführt.
Boslet war Schüler von Faißt in Stuttgart und von Rheinberger in München. In Paris äußerte sich kein Geringerer als Alexandre Guilmant wohlwollend über seine 3. Orgel­sonate. Und doch: Wer kennt heute außerhalb seiner einstigen Wirkungsstätten Ludwigshafen, St. Ingbert und Trier den Organisten und Komponisten Ludwig Boslet, setzt gar eine seiner Orgelsonaten aufs eigene Konzertprogramm?
Zwar sind die zu Boslets 150. Geburtstag erschienenen Drei Tonstü­cke sicherlich das, was man gemeinhin mit apologetischem Unterton als „Gelegenheitskompositionen“ bezeichnet. Dennoch geben sie ein treffliches Bild vom Musiker Boslet, von einem (kirchen-) musikalischen Alltag des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Im akademisch „korrekten“ Satz etwa „riecht“ man förmlich den miefigen Geist der einstmals weitverbreiteten Lehrerseminare, deren Absolvent Boslet war. Und der melodisch und harmonisch fade Grundcharakter ist das Spiegelbild deutscher Provinzstädtchen der Kaiserzeit par excellence. Was ihm fehlt, und da steht Boslet in seiner Zeit nicht alleine, ist etwa der spielerische Esprit seiner französischen Kollegen, ist die melodisch-klangliche Nobilität der Engländer. Ideen und Motive entwickeln sich bei Boslet kaum. Im „Festprälu­dium“ etwa werden sie wie Perlen einer langen Kette mehr oder weniger unsystematisch aneinandergereiht und oft bis zum Überdruss wiederholt. Das „Recitativ“ hebt mit pathetischer Geste an, um am Ende lediglich etwas musikalischen Weih­rauch aufsteigen zu lassen. Und das als Passacaglia angelegte „Finale“, obschon das gelungenste der drei Stü­cke, lässt einen dramaturgisch durchdachten, klug aufgebauten Spannungsverlauf – wie etwa in der e-Moll-Passacaglia seines Lehrers Rheinberger – eher vermissen.
Wer das Jahr über leicht spielbare Literatur für Gottesdienst oder kirchenmusikalische Andacht sucht, dazu gerne auch regionales Kolorit einfließen lassen möchte, der liegt mit diesen Tonstücken sicher nicht falsch. Wem die konzertante Zukunft der Orgel ein Herzensanliegen ist, der sollte wissen, wo und wann er zu dieser Musik greift. Wer kennt heute noch die Namen all jener deutschen Stadtkirchen- und Domorganisten, die mit der schier endlosen Flut ihrer selbstgebastelten Präludien, Fughetten, Adagien und Recitative die Orgel ins sakrale Nischendasein gespielt haben? Geschichte könnte so gnädig sein, sofern ihr musikwissenschaftliche Ambition nicht in die Quere kommt und das hervorholt, was manchmal auch besser in der Schublade geblieben wäre.
Wolfgang Valerius