Heider, Werner

Drei Fantasien über Spiri­tuals für Orgel (1955)

Verlag/Label: Edition Peters 11298
erschienen in: organ 2012/02 , Seite 60

Werner Heider (*1930) verwendet in seinen Drei Fantasien für Orgel (Fantasie, Passacaglia, Toccata) die sechs Spirituals Somebody’s knockin’ at yo’ do’, I’m troubled in mind, Josuah fir de battle ob Jerico, Who’ll be a witness form y Lord, Listen to de lambs und Sinner, please dont’t let dis harves pass. Sein 1955 in Fürth entstandenes zwölfminütiges Werk ist 55 Jahre später 2010 im Henry Litolffs Verlag erschienen und unter Nr. 11298 in die Edition Peters aufgenommen worden, Roman Emi­lius gewidmet, der zur Entstehungszeit freilich noch nicht geboren war.
In den 18 1/2 Schlusstakten soll unvermittelt ein Saxofon (oder eine Trompete) auftreten, um die Melodie des zuletzt genannten Spirituals zu intonieren – vielleicht ein ähnlicher Effekt wie am Ende der Symphonischen Kanzone es-Moll von Sigfrid Karg-Elert oder am Ende von Praeludium und Doppelfuge c-Moll von Friedrich Klose, wo im Finale ausgedehnter Orgelwerke unerwartet Blechbläser hinzutreten, um die Schluss-Steigerung wirkungsvoll zu überhöhen – wenn auch hier sehr viel weniger spektakulär und eigentlich dann auch nicht mehr nötig und sinnvoll.
Nichts kann darüber hinwegtäuschen, dass dieses nicht mehr ganz neue Stück, das vor über 55 Jahren sicher neu und zukunftsweisend war, heute nicht mehr unvermindert attraktiv ist. Die Art, wie die Spirituals zitiert werden – quasi als cantus firmi in einer überwiegend widerstrebenden, mit ihnen wenig verbundenen musikalischen Umgebung – wirkt europäisch stilisiert und eigentlich etwas zu intellektuell angesichts der elementaren Kraft der verwendeten Gesänge. So handelt es sich hier wohl eher um ein zeitgeschichtliches Denkmal, das dokumentiert, wie zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs durch den damals 25-jährigen Werner Heider Spirituals in die Orgelkomposition Eingang gefunden haben. Die Auseinandersetzung mit dem Material ist wirklich ernsthaft zu nennen und auf jeden Fall besser als die heute leider allzu oft anzutreffende unreflektierte, opportunistische Adaption.
Die Verbindung, gegenseitige Befruchtung und Verschmelzung der Gestaltungsmöglichkeiten, emotionalen Energien und Wirkungen von Musikrichtungen unterschiedlicher Herkunft, von Stilen aus Kunstmusik und Unterhaltungsmusik, bleiben herausragend wichtige Aufgaben für das zeitgenössische und künftige Komponieren und die Mu­sikausübung, gerade auch im Bereich der Kirchenmusik. Insofern gehört Werner Heiders Arbeit zu den zukunftsweisenden Pionierleis­tungen, die jede(r) versierte OrganistIn kennenlernen sollte!

Torsten Laux