Die Scherer–Bünting-Orgel zu Mölln
Dagmar Lübking, Orgel
Bewertung: 5 von 5 Pfeifen
Nach der Premieren-Einspielung mit Thimo Neumann, Pieter van Dijk und Arvid Gast legte Dagmar Lübking eine weitere Porträt-CD dieser für die Orgelgeschichte Norddeutschlands so wichtigen wie typischen Orgel vor. Dabei liegt der Akzent deutlich auf deren Klangschichten bis 1750. Lübking nähert sich hochstimmigen Werken wie Michael Praetorius’ Hymnus Vita sanctorum, dessen Variationen „Nun lob mein Seel den Herren“, Hans Leo Hasslers Alleluja oder Bachs Pièce d’orgue mit packendem Zugriff. Die Anweisung „Très vitement“ im Eingangsteil der Letzteren übersetzt die Organistin in eine behutsam gegliederte, beflügelte Lebendigkeit – ohne Hektik.
Bergende Ruhe und konzentrierte Spiritualität kennzeichnen dagegen ihre feinfühligen Interpretationen etwa von Heinrich Isaacs Innsbruck ich muss dich lassen / O Welt ich muss dich lassen oder Dietrich Buxtehudes Mit Fried und Freud. Die harmonisch für ihre Zeit bizarre, toccatenhafte Sonatina in d von Christian Ritter aus dem Andreas-Bach-Buch lässt erahnen, wo sich Johann Sebastian Bach Anregungen zu seiner Experimentierfreude holte. Als ähnliche Inspirationsquelle einzuordnen ist die Übertragung von Jean-Baptiste Lullys Chaconne aus seiner Oper Phaeton durch Johann Christoph Bach, entnommen dem Möller Manuscript. Diese Trouvaille geht Dagmar Lübking mit besonders vitaler Spielfreude an.
Generell fällt die sorgfältige Programmwahl dieser Einspielung auf, in der Originalliteratur für Tasteninstrumente, Bearbeitungen und (als deren Sonderfall) Intavolierungen als gleichwertige, oft nicht exakt voneinander trennbare Phänomene ineinandergreifen; darauf geht auch der Kommentar von Dorothea Schröder im Booklet (deutsch/englisch) ein. Angesichts der verschiedenen, in Gruppen erhaltenen Pfeifenbestände der Möllner Scherer-Bünting-Orgel – insbesondere aus der frühen Schaffensphase der Orgelbauer-Dynastie Scherer – wären Registrierangaben hier interessant gewesen. Dagmar Lübking trifft in den allermeisten Fällen eine Auswahl, die historisch wohlbegründet ist, zugleich schöne Hörerlebnisse beschert und bisweilen unkonventionelle Wege geht; so in einigen Chorälen aus Bachs Orgelbüchlein.
Die Aufnahme gibt die etwas trockene Akustik der Möllner Nicolaikirche authentisch wieder. Zu Ungunsten der Plastizität des herrlichen Prospekts ist die Totale der Orgel auf der Rückseite des Beihefts etwas hell geraten. Fazit: Hier war eine Künstlerin am Werk, deren Liebe und Interesse seit Jahrzehnten der Musik des 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts gehört. Eine Fortsetzung, in der die galanten Qualitäten dieses Instruments zur Geltung kommen, wäre spannend.
Markus Zimmerman