Martin Blindow

Die Orgelbauwerkstatt Ernst Röver

(= Musik: Forschung und Wissenschaft, Bd. 7)

Verlag/Label: LIT Verlag, Münster 2020, 412 Seiten, 44,90 Euro
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2020/04 , Seite 59

Nachdem die Rövers zunächst in Stade eine Orgelbauwerkstatt mit regionalem Arbeitsgebiet betrieben hatten, bot sich 1884 für Ernst Röver die Gelegenheit, den verwaisten Betrieb von Adolf Reubke in Hausneindorf bei Quedlinburg zu übernehmen. In nur 38 Jahren wurden in dieser „Orgelbauanstalt“ rund 200 Orgeln hergestellt bzw. in größerem Umfang umgebaut. Allein dieses stattliche Œuvre, geschaffen vorwiegend für Nord- und Mitteldeutschland, hat eine umfassende Würdigung längst verdient, zumal sich darunter einige, meist zerstörte Monumentalprojekte wie etwa für die Hamburger Hauptkirche St. Nicolai (1891) oder den Dom zu Magdeburg (1906) befanden. Immerhin haben rund siebzig Instrumente, wenn auch teilweise erheblich verändert, die Zeiten überdauert, so unter anderem das dreimanualige Werk in der Moskauer Baptistenkirche von 1998.
Der emeritierte Theologieprofessor Martin Blindow (* 1929) hat mit seiner Monografie über das Wirken Rövers dieses Desiderat in der Dokumentation des spätromantischen Orgelbaus in Deutschland nun dankenswerterweise beseitigt. Einbezogen sind sowohl die familiäre Umgebung Ernst Rövers (der Vater Johann Hinrich Röver und der ältere Bruder waren ebenfalls Orgelbauer) als auch die gemeinsamen Anfänge der Werkstatt in Stade.
Den Kapiteln zur Lebens- und Firmengeschichte folgen Abschnitte über technische Besonderheiten der Röver-Orgeln, vor allem im Bereich der Windladen, sowie Ausführungen zu ausgewählten Kontaktpersonen (bekannte Sachverständige und Or­gelvirtuosen wie Sigfrid Karg-Elert). Die Rövers waren sehr experimentierfreudig, dazu äußerst umtriebige Unternehmer, deren Verbindungen bis in hohe Militärkreise nach Berlin reichten.
Während Blindows Werkliste zu Johann Hinrich Röver & Söhne (1877–86) chronologisch aufgebaut ist, sind die Nachweise zu Ernst Röver alphabetisch nach Ortsnamen geordnet, ergänzt durch eine chronologische Kurzübersicht; etwas ratlos macht ein weiteres kleines Verzeichnis „Opuszahlen chronologisch“ mit nur rund zwei Dutzend Positionen. Dass die Informations- und Quellenlage zu jedem Objekt unterschiedlich ist, versteht sich; kleine Ungenauigkeiten sind trotz akribischer Recherchen bei Firmenchroniken nicht immer vermeidbar. Unverständlich ist jedoch, weshalb z. B. bei der Magdeburger Domorgel (S. 287 ff.) Literatur­angaben fehlen, etwa der Hinweis auf Martin Günthers Beitrag in der Festschrift zur Orgelweihe von 2008.
Leider fallen inkonsequente Namensansetzungen und willkürliche Abkürzungen immer wieder auf, was die Orientierung und insbesondere das Nachschlagen sehr erschwert. Dies gilt sowohl für die passagenweise wie zufällig niedergeschriebenen, nicht immer stringenten Fließtexte als auch tabellarische Bestandteile. So sind einige der zahlreichen Röver-Orgeln in Hamburg (etwa in Schulen) nur mit Mühe zu identifizieren; hier fehlen bisweilen Querverweise: Eine heute in Valley (Oberbayern) befindliche Orgel wurde 1892 für das Schröderstift in Hamburg erbaut (S. 252); der korrespondierende Eintrag „Valley“ (S. 333) vermerkt als Baujahr 1896, die Opuszahl 56 und elf Register; Seite 360 nennt op. 56 mit 18 Registern und das Entstehungsjahr 1888. Ein Foto des originellen Prospekts mit dem Gemälde von Cesare Mussini wäre leicht zu beschaffen gewesen. Angaben im Literaturverzeichnis sind mitunter unvollständig. Viele der kleinen Abbildungen sind von geringer Aussagekraft; auf Quellenangaben wurde dabei verzichtet.
Dies mögen Kleinigkeiten sein, doch ihre Häufung lässt die verdienstvolle Studie unzuverlässig wirken. Allzu leicht werden dadurch viele interessante Details übersehen oder sind mangels Personen- und Ortsregister nicht auffindbar. Wer würde schon vermuten, dass es im Magdeburger Justizpalast einen Bet­saal samt Orgel (1904, II/12) gab? Für seine Zeit bezeichnend ist auch das Zitat aus einem Gutachten von 1957 (S. 299): „Die Orgel hat den ausgesprochen sentimentalen und peinlichen Klang eines Instruments aus den Jahren 1908 bis 1914.“
Inzwischen erfreuen sich die Röverschen Instrumente dank ihrer spätromantischen Klangqualitäten und ihrer durchweg robusten Technik hoher Wertschätzung als Kulturdenkmale. Deshalb ist es besonders schade, dass das Lebenswerk Ernst Rövers nicht die Präsentation erfahren hat, die ihm gebührt.

Markus Zimmermann