Die Orgel in Raum und Zeit
Eine Bestandsaufnahme im Kanton Luzern
Die wesentliche Zielgruppe dieses großformatigen, kartonierten und üppig illustrierten Bandes ist offenbar die kunst- und denkmalinteressierte Öffentlichkeit jenseits der überschaubaren Gruppe von Organisten und Orgelbauern. Das erschließt „unserem“ Instrument gewiss neue Freundeskreise, wozu auch die flüssig formulierten Einführungstexte beitragen; sie gehen sowohl auf die Funktion und Geschichte der Orgel im Allgemeinen ein als auch auf die Vielfalt der im Kantonsgebiet vorhandenen Instrumente von der Barockzeit bis zur Gegenwart (Marco Brandazza und Herbert Ulrich). Anhand einiger Beispiele erläutert Georg Carlen denkmalpflegerische Aspekte.
Etwa zwei Drittel des Buches sind einer eng rastrierten Bestandsaufnahme gewidmet. Diese verzeichnet alle bekannten Orgeln, geordnet nach Wahlkreisen. Zu erklären ist diese Einteilung mit dem Erfassungssystem der kantonalen Denkmalpflege; sie ist jedoch für Außenstehende schwer handhabbar, da es kein Ortsregister gibt. Neben einem Foto bietet dieses Inventar die Standortangaben, das Baujahr des Aufstellungsgebäudes und den Namen des Architekten. Von den Instrumenten selbst erfährt man das Baujahr, die Werkstatt sowie die Anzahl der Manuale und Register; manchmal folgt eine Anmerkung etwa zum Vorgängerwerk. Somit werden gewichtige Exponenten wie die Bossert-Orgel in der ehemaligen Klosterkirche von St. Urban, das grandiose Ensemble in der Luzerner Hofkirche oder die Neubauten im dortigen Konzerthaus und der nahen Lukaskirche im Informationsgehalt auf eine Stufe mit Serienpositiven gestellt. Dies führt zu inhaltlicher Unwucht und ist jammerschade. Literaturhinweise enthalten die Einträge selbst nicht; sie sind dem Verzeichnis am Ende des Bandes zu entnehmen und den einzelnen Orgeln zuzuordnen.
Gewiss setzten die Vorgaben der gesamten Schriftenreihe sowohl für die grafische Gestaltung als auch die fachliche Ausrichtung Maßstäbe bzw. Grenzen. Ferner ist sich der Autor dieser Zeilen sehr wohl der Problematik bewusst, die Bestandsaufnahmen hinsichtlich ihrer Vollständigkeit, Aktualität und Auswahl der gebotenen Informationen stets stellen. Doch allein der immense Aufwand für die Bilder hätte zumindest bei einigen Orgeln eine Würdigung ihrer musikalischen Aussage mehr als gerechtfertigt, vielleicht sogar die Wiedergabe der einen oder anderen Disposition. Auch und gerade noch nicht Eingeweihte hätten dadurch die Chance, sich mit der künstlerischen Komplexität des Systems Orgel intensiver auseinanderzusetzen. Ebenso sollte die Genese veränderter Orgeln am konkreten Beispiel zumindest für die wichtigsten Restaurierungsschritte nachvollziehbar sein.
Sollte sich eine weitere Gebietskörperschaft zu einer solchen Dokumentation entschließen, wäre zu überlegen, das Vollinventar elektronisch und damit flexibler zu publizieren. In der Druckausgabe wäre dann genügend Raum, repräsentative Orgeln ausführlicher vorzustellen. Dennoch: Die Edition macht Lust darauf, im Kanton Luzern auch entlegenere Orgelschätze in architektonisch interessanter Umgebung zu entdecken. Gelingt es obendrein, neues Publikum zu begeistern, dann ist mit diesem Engagement viel gewonnen.
Markus Zimmermann