Bach, Johann Sebastian

Die Kunst der Fuge

Bengt Tribukait an der Cahman-Orgel (1728) der Kirche von Leufsta Bruk, Schweden

Verlag/Label: Musica Rediviva MRSACD 017 (2008)
erschienen in: organ 2010/01 , Seite 60

Bewertung: 3 Pfeifen


Bachs Kunst der Fuge wirft nach wie vor eine Vielzahl ungelöster Fragen auf. Eine der geringsten dabei ist, ob der nur von einem handschriftlichen Vermerk von fremder Hand im Manuskript herrührende Werktitel über der ersten Druckfassung aus dem Jahr 1751/52 überhaupt in Bachs Sinn war. Noch immer fehlt etwa ein sicherer Nachweis, wie und auf welchen Instrumenten der Zyklus aufzuführen wäre. Der 1961 in Stockholm geborene Bengt Tribukait hat für seine neue Einspielung (einmal mehr) die Orgel gewählt. Dafür gibt es nach wie vor stichhaltige Gründe. Das von ihm bespielte Instrument, die 1726-28 von Johan Niclas Cahman im schwedischen Leufsta errichtete zweimanualige Orgel mit 28 klingenden Stimmen, spiegelt die Bedeutung, die dieser kleine Ort auf Grund seiner Eisenproduktion damals eingenommen hat. In der Regel findet man in Schweden größer dimensionierte Instrumente auf dem Lande eher selten; Johan Niclas Cahman gilt zudem als der bedeutendste Orgelbauer des frühen 18. Jahrhunderts im Lande.
Ungeachtet der klanglichen Vielfalt des vor einigen Jahren umfassend restaurierten Instruments verfährt Tribukait bei der Registerwahl und den Registerwechseln in den einzelnen Con­trapuncti vorsichtig. Neben den leuchtend-kräftigen Flöten, wie sie im 5. Contrapunctus zum Tragen kommen und dort wegen des unterschiedlichen Ansprechens auf den einzelnen Tönen beim Einschwingen aparte, fast schon perkussive Vorlaufgeräusche erzeugen, registriert er mehrfach auch das volle Werk. In der unvollendeten Schlussfuge ([Quadrupel-] „Fuga a 3 soggetti“) präsentiert er mit macht­voller Basspräsenz die imposante dynamische Substanzfülle des Instruments. Gerne arbeitet er bei der Aufeinanderfolge der einzelnen Contrapuncti mit einer kontrastierend-abgesetzten Dynamik und setzt so etwa dem „Canon alla Duodecima in Contrapunto alla Quinta“ mit dem von ihm hier gewählten klangbestimmenden Fagottregister in der tiefen Stimme im nachfolgenden „Canon per Augmentationem in Contrario Motu“ ein filigranes Gespinst zarter Flötenregis­ter entgegen. Im ersten der beiden Spiegelfugenpaare (Contrapunctus 12) konturiert er eine markante Phrase nach Cantus-firmus-Manier mit einer Solozunge.
Dies alles weckt das Interesse des Zuhörers, ohne aber den spürbaren Respekt, den der Interpret vor Bachs Opus ultimum obwalten lässt, mit extravaganten gestalterischen Freiheiten zu überlagern. Tribukait wählt in der Regel lebendige Tempi, welche die Ernsthaftigkeit und die Ruhe, die sein Spiel vermitteln, nicht gefährden. Innere Spannung gewinnen die Contrapuncti durch sensible agogische Belebung, mit welcher der Interpret Themeneinsätze elegant vorbereitet oder Wende- und Gipfelpunkte der musikalischen Bewegung markiert. Artikulationsmäßig hätten Melodik und Figuren durchaus noch eine prägnantere Profilierung vertragen.


Thomas Bopp