Die Barockorgel in St. Johannes Baptist Borgentreich – Ein Instrument wahrhaft europäischen Ranges

Werke von Tunder, Böhm, J. S. Bach, Scheidt, Anonymus, Sweelinck und Buxtehude

Verlag/Label: Organum classics OGM 141048 (2014)
erschienen in: organ 2016/02 , Seite 56

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Für Orgelfreunde ist Borgentreich aufgrund der bedeutenden Barockorgel, die sich seit 1803 im Besitz der katholischen Kirchengemeinde und der Stadt befindet, sowie des Orgelmuseums wegen, das seit 1980 im ehemaligen Rathaus ansässig ist, ein Begriff. Doch erst die vorbild­liche, 2011 abgeschlossene Restaurierung des Instruments durch Hermann Eule Orgelbau, Bautzen, erfüllte zuletzt die Voraussetzung zur offiziellen Verleihung des Titels „Orgelstadt“ durch das Land Nordrhein-Westfalen. Dieses Attribut wird mit dem von Jörg Kraemer eingespielten Tonträger mit über achtzig Minuten Spielzeit Orgelklängen unterstrichen, zumal diese den Anspruch größtmöglicher Authentizität erfüllen.
Dabei hat das rund vierhundertjährige Instrument eine bewegte Geschichte: Erbaut wurde es von einem anonymen Meister für das Augustiner-Chorherrenstift Dalheim (Kreis Paderborn), erweitert durch Mitglieder der Orgelbauerfamilie Bader, Johann Jacob John und Johann Patroclos Möller, trans­loziert nach der Säkularisation des Klosters nach Borgentreich und da­selbst ebenfalls mehrfach verändert – einschließlich einer orgelbewegten Umgestaltung durch den Göttinger Orgelbauer Paul Ott gemäß einer Fiktion/Diktion des Orgelsachverständigen Rudolf Reuter. Bei all den Eingriffen blieb dennoch genug originale Substanz, die eine stilkritische Rekonstruktion des Zustands im 18. Jahrhundert mit seiner Prägung aus Norddeutschland mit überzeugendem Ergebnis ermöglichte.
Entsprechend besteht das Programm der CD aus Kompositionen norddeutscher Provenienz mit Jan Pieterszoon Sweelincks Fantasia in d „Auf die Manier eines Echos“, Samuel Scheidts Cantio sacra „Warum betrübst du dich, mein Hertz“ SSWV 106, Alamande „Also geht’s, also steht’s“ SSWV 137, Modus ludendi pleno organo pedaliter SSWV 157, Franz Tunders Praeludium pedaliter in g, Dietrich Buxtehudes Praeludium in g BuxWV 149, Georg Böhm Aria „Jesu, du bist allzu schöne“ und J. S. Bachs Choralvorspielen „Liebster Jesu, wir sind hier“ BWV 731, „Vater unser um Himmelreich“ BWV 737, den freien Stücken Fuga in g BWV 131a, Fantasia in C BWV 570 sowie einem Concerto in g (anonym). Kraemer findet für jedes der Stücke genau den richtigen „Ton“; Solore­gis­trierungen und Abstufungen des „Vollen Spiels“ bieten einen repräsentativen Querschnitt des Farbenreichtums des Instruments und lassen den jeweiligen Affekt zur Geltung kommen. Das klar artikulierte Spiel unterstützt diesen Eindruck und vermittelt einen individuellen Zugang zu jedem der Werke.
Eine Dokumentation in Text und Bild stellt das der CD beigegeben 96-seitige Buch dar, das alle wesentlichen Informationen zum Instrument versammelt: Beiträge zur „Orgelstadt“ Borgentreich (Klaus Faika), zur Genese des Instruments im Kontext seiner Musik (Michael Belotti) und zum Restaurierungsprojekt (Jörg Kraemer) sowie eine Zeittafel zur Baugeschichte (in deutsch und englisch); dazu werden die Disposition und die Registrierungen mitgeteilt.

Michael Gerhard Kaufmann