Georg Friedrich Händel

Die 16 Orgelkonzerte

Verlag/Label: Gallo, GAL-CD-1494 (2017)
erschienen in: organ 2018/01 , Seite 55

5 von 5 Pfeifen

Guy Bovet (geboren 1942) ist seit Jahrzehnten ein Begriff in der internationalen Organistenwelt. Er war schon in jungen Jahren für seine stupende virtuose Musikalität bekannt. So spielte er 1975 bei einer GdO-Tagung, lausbubenhaft-leger in Jeans und T-Shirt gekleidet auf die Orgelbank hüpfend, vor den versammelten Pfeifenenthusiasten Bachs c-Moll-Passacaglia und re­gis­trierte (ohne Spielhilfen) perfekt eigenhändig – natürlich mit aufwändig-wachsendem Crescendo. Oder er ließ sich mit einer Totenkopfmaske für eine Kinoorgel-CD abbilden, die etwa Suppés Ouvertüre zu Dichter und Bauer enthielt. Diese organistische Bandbreite ergänzte Bovet auch als Komponist und als international gefragter Juror.
Jetzt ist er Solist der Orgelkonzerte Händels, die mit geballt-enzyklopädischer Wucht von insgesamt nahezu dreieinhalb Stunden in eine geschmackvolle Kassette mit drei CDs und einem ausführlichen Booklet (französisch und englisch) gepackt wurden. Es enthält Angaben über Organist, Orgel, Dirigent und Orchester, eine eindringliche Beschreibung der Person und Zeit Händels, Überlegungen zur Interpretation und eine ausführliche Charakterisierung aller Konzerte.
Die Orgel entstand 1996 nach konzeptionellen Vorgaben Bovets, wartet mit 39 Registern (IV/P) auf und kann auf einem Luftkissen von zwei Personen sogar räumlich verschoben werden.
Händel, der barocke Pop-Titan, war von seinen Fans gebeten worden, in den Pausen seiner beliebten Oratorien doch auch auf der Orgel zu improvisieren. Instrumentalisten waren vorhanden, beides wurde kombiniert – so entstanden insgesamt 16 Konzerte. Man weiß, dass der große Hallenser, der nicht wie sein Kollege Bach mit ignoranten Stadtoberen zu kämpfen hatte, trotz mancher Einbrüche ein erfolgreicher Musikproduzent war, dazu ein Genussmensch, ja ein Lebemann. Genüsslich klingt auch seine Musik. Orgel (mit teilweise klangvoll-üppigem Sound) und Orchester warten nicht keusch-historisch auf, wobei das Booklet verrät, man habe sich bewusst dafür entschieden, aber beim Proben und Aufnehmen gelernt, dass eine nicht-historische Aufführung nicht unbedingt einfach ist, dass Erkenntnisse früherer Aufführungspraktiken durchaus inspirierend sind … und dass man einen neuen Weg finden musste.
So versammeln sich Organist, Orchester und ein unaufdringlich aufwartender Cembalist zu einer stets lebendigen Aufnahme, mal zierlich verspielt (wie etwa in op. 4/6 – auch für Harfe geeignet), mal saftig-symphonisch wie in op. 4/2, herrschaftlich im Rhythmus der Französischen Ouvertüre oder in op. 7/1, süffig-lukullisch, dabei spritzig, durchsichtig, gut artikuliert und mit überraschenden Diminuendi. Die satte Disposition der Orgel bietet ein völlig anderes Klangbild als ein schmächtiges und zudem hier gänzlich unhistorisches Truhenpositivchen, mal opulent, mal auch nur mit Acht- und Vierfüßchen oder mit schnarrend-lingualem Sound, jedenfalls immer mit einer schönen, oft verblüffenden Farbpalette. Bovet offeriert sein organistisch-interpretatorisches Können von fein gestrickten, oft grazilen Arabesken bis gleichsam zur großen Oper auftrumpfend (sein lausbubenhaftes Scherzando zeigt er auch auf dem rückseitigen Bild des Booklets im Tutti der Instrumentalisten). Das Orchester folgt ihm mit freudigen Schritten bis hin zum letzten Concerto und garniert es mit unbekümmertem Hörnerschall.
Minimale Tonartverwirrung:Das Konzert op. 7/6 steht in B-Dur, wird aber auf dem Backcover der CD-Tasche und des DigiPacks unkorrekt in F-Dur angezeigt.

Klaus Uwe Ludwig